"Sein oder Nichtsein" am Deutschen Theater: Boulevard mit Gruppenführer
Rafael Sanchez hat Ernst Lubitschs Komödie "Sein oder Nichtsein" für das Deutsche Theater in Berlin adaptiert.
Man wünschte dem neu gestarteten Deutschen Theater unter Ulrich Khuon endlich eine geglückte Inszenierung. Stattdessen driftet es auch mit Rafael Sanchez Inszenierung "Sein oder Nichtsein" nach dem legendären Film von Ernst Lubitsch weiter in Richtung Belanglosigkeit. In Lubitschs Komödie von 1942, den man hier in der drehbuchnahen Bearbeitung von Nick Whitby darbietet, muss ein Warschauer Stadttheaterensemble seine Proben an dem satirischen "Gestapo"-Stück 1939 ob des Provokationspotenzials abbrechen und stattdessen weiter "Hamlet" aufführen. Kurz darauf marschieren die Deutschen in Polen ein, der polnische Widerstand formiert sich, und die Theatertruppe muss, um zu verhindern, dass der Nazi-Agent Silewski der Gestapo ihre Aktivitäten enthüllt, selbst in die Rolle von Nationalsozialisten schlüpfen. Angeführt werden sie dabei vom Starschauspielerehepaar Joseph und Maria Tura.
Ein so komisches wie entlarvendes Rollen- und Verwechslungsspiel durch Hotelzimmer, Theatergarderoben und Gestapo-Quartiere nimmt seinen Lauf. Buchstäblich spielen die Schauspieler um "Sein oder Nichtsein", Leben oder Tod. Am Ende ist, trotz diversen unfreiwilligen Aus-der-Rolle-Fallens, Silewski unschädlich gemacht und die Nazis sind an der Nase herumgeführt. Regisseur Rafael Sanchez, 1975 in Basel geboren und seit einem Jahr gemeinsam mit Barbara Weber Leiter des Zürcher Neumarkt-Theaters, begnügt sich nun größtenteils damit, den Film, der jede Menge komödiantisches Schauspielerfutter bietet, nachzustellen und dabei möglichst elegante Lösungen für die Schnitte und Ortswechsel zu finden - was ihm mit einer multiräumlichen Drehbühne (Simeon Meier), hoch- und runterfahrbaren Kulissen sowie Videoleinwänden auch auf leidlich elegante Weise gelingt.
Dass seit Entstehung des Films 67 Jahre vergangen sind oder dass es etwa jüngst mit Tarantinos "Inglourious Basterds" einen heiß diskutierten Film gegeben hat, für den Lubitsch ein wesentlicher Bezugspunkt ist, davon bleibt Sanchez Inszenierung gänzlich unbeleckt. In ihr offenbart sich keinerlei Haltung zum Stoff, keine Spur einer produktiven, weiterdenkenden Aneignung, keine Idee, wie mit der historischen Distanz umzugehen wäre.
Es bleiben lediglich ein paar nette Einfälle. So nutzt Sanchez die Gelegenheit, in den Theaterszenen auch den Zuschauerraum mit zu bespielen. Und im Nazi-Quartier plustert sich ein weißer Reichsadler per Luftzufuhr zum imposanten Machtsymbol auf und sackt zwischendurch immer wieder zusammen; auf dem Globus des Gruppenführers Erhardt prangt ein großes rotes Deutsches Reich und sonst nichts; am Fenster schwebt in Videoprojektion ein Zeppelin mit Hakenkreuzen vorbei.
Aber keines dieser Mätzchen, und meistens sind sie noch nicht einmal sonderlich komisch, fügt dem Film irgendetwas Wesentliches hinzu. Nichts eröffnet eine neue Dimension, einen überraschenden Subtext. Im besten Fall verweisen die Späße noch auf die selbstreflexive Ebene der Lubitsch-Story, indem sie das Spiel im Spiel noch eine Schraube weiter drehen.
Die schönste Szene hat Bernd Moss als Joseph Tura, der nichtsahnend zu seinem Nebenbuhler (Christoph Franken) ins Bett kriecht, in dem wohligen Gefühl, sich dabei an die Gattin zu kuscheln, und dann erst langsam seinen Irrtum ertastet.
Neben Moss brillieren vor allem Jörg Gudzuhn als trottelig-herrischer Gestapo-Scherge und Moritz Grove als sein blindgehorsamer Untergebener Schulz. Und Maren Eggert weicht mit ihrer Tura-Gattin Maria auch mal wohltuend eigensinnig vom Original ab. Das bleibt sehenswert - dieser Theaterabend ist es nicht.
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