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Seifenoper Eine hübsche Portion Gesellschaftskritik ist beigepackt: Die Erfolgsautorin Patrícia Melo zeichnet in ihrem neuen Krimi „Trügerisches Licht“ kein sehr schmeichelhaftes Bild der brasilianischen GesellschaftEin ziemlich unterhaltsamer Tod im Rampenlicht

Brasilien ist nicht nur das Land der Favelas, des Karnevals und der diesjährigen Olympischen Spiele, sondern auch ein Land hingebungsvoller Seifenoperngucker. Wenn die Mordrate so hoch ausfällt wie in manchen brasilianischen Großstädten, sind nur die wenigsten Todesfälle eine Nachricht in der Zeitung wert. Wenn allerdings ein Star aus der Soap-Welt einem Verbrechen zum Opfer fällt, dann häufen sich die Schlagzeilen.

So beschreibt es die brasilianische Bestsellerautorin Patrícia Melo in ihrem neuen Roman. „Trügerisches Licht“ beleuchtet eine Gesellschaft, in der die Polizisten zynisch oder korrupt oder beides sind und in der es allgemein achselzuckend hingenommen wird, wenn in den Favelas täglich Menschen Opfer von Gewaltverbrechen werden.

Deswegen ist der Serienkiller, der es auf junge Frauen aus den Armenvierteln von São Paulo abgesehen hat, auch nur ein reines Seitenthema, fast ein etwas zynischer running gag in dem Glanz-und-Glamour-Krimi, den Patrícia Melo dieses Mal geschrieben hat. Seine Protagonistin ist die aufrechte, dabei durchaus auch ein wenig selbstgerechte, Kriminaltechnikerin Azucena, die im Laufe des Romans ganz nebenbei regelmäßig hinzugezogen wird, wenn man wieder einmal irgendwo eine Frauenleiche im Gebüsch findet. Vor allem aber ist Azucena von Anfang an involviert in die Aufklärung eines ungleich sensationelleren Todesfalls: Der bekannte Schauspieler Fabbio Cassio hat sich während einer Theatervorstellung auf offener Bühne erschossen – mit einem präparierten Revolver, wie sich schnell herausstellt.

Nicht nur dieser Mord in seiner offensiven Dramatik besitzt seinerseits ausgesprochene Soap-Opera-Qualitäten. Das Leben der Protagonisten, wie Melo es schildert, hat davon kaum weniger. Da gibt es beispielsweise den toten Fabbio, der zum einen eine auffällig besitzergreifende Mutter hinterlässt, zum anderen eine wunderschöne Freundin, die ihn jedoch schon eine geraume Weile betrogen hat (denn der Star litt an Impotenz).

Später kommt eine geheimnisvolle Tante ins Spiel, die dasselbe Tattoo an derselben Körperstelle trägt wie der Verstorbene. Cherchez les femmes!

Das mag sich im Übrigen auch die toughe Kriminaltechnikerin Azucena denken, als sie ihren Mann mit ihrer jüngeren Schwester zusammen im Bett erwischt. Den Rest des Romans verbringt sie daher nicht nur mit der Aufklärung des Fabbio-Mordes, sondern auch damit, ihr neues Leben als alleinstehende Wochenendmutter in den Griff zu kriegen. Die persönliche Mehrfachbelastung mag dazu beitragen, dass der sonst so kühl agierenden Polizistin schließlich eine fatale professionelle Fehleinschätzung unterläuft.

Das ist, kurz zusammengefasst, das nackte Storyboard dieses Romans, der darüber hinaus üppig mit oft nur kurz angerissenen, episodenhaften Nebensträngen ausgeschmückt ist (in denen die Polizei gar nicht gut wegkommt), eine insgesamt recht ausufernde Menge an Personal auffährt und seinerseits fast genauso bunt und schrill daherkommt wie eine Seifenoper. Das Endergebnis mag keine große Literatur sein, doch als Erzählspiel ist „Trügerisches Licht“ auf jeden Fall ein anregendes Experiment, eine seltene Genremischung, der sich auch eine ganz nette Dosis Gesellschaftskritik beigepackt findet. Aber natürlich nicht so viel, dass sie sich in den Vordergrund schöbe. Denn in erster Linie soll eine gute Seifenoper ja unterhalten, nicht verstören. Und Melo weiß schließlich ganz genau, aus was für einem Stoff Bestseller gemacht werden.

Katharina Granzin

Patrícia Melo: „Trügerisches Licht“. Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita. Tropen Verlag, Stuttgart 2016, 320 Seiten, 14,95 Euro

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