Second Life-Studie: Virtueller Hohlraum
Zwei von drei Usern besuchen Second Life einmal und kommen nie wieder. Eine geplatzte Blase ist die Zweitwelt trotzdem nicht.
Wer die Einsamkeit sucht, sollte es mal im Internet versuchen. Genauer: In der Welt des zu Beginn des Jahres massiv durchgehypeten Online-Rollenspiels Second Life. Man muss sich dort nicht besonders geschickt anstellen, um vollkommen allein durch Geisterstädte in postmoderner Do-it-Yourself-Architektur und über bizarr geformte Inseln spazieren zu können. Auch im Nike-Store und auf der Mercedes-Teststrecke ist mal wieder nichts los, nur manchmal erblickt man am Horizont schemenhaft einen fremden Avatar.
Dabei ist die Second-Life-Welt nicht etwa besonders umfangreich. Hersteller Linden Lab bezifferte die Gesamtfläche Ende Mai auf rund 650 Quadratkilometer, was nicht einmal der Größe Hamburgs entspricht. Es ist bloß ziemlich leer. Die vielen Millionen Nutzer, von denen immer die Rede war? Haben anscheinend Besseres zu tun, normalerweise sind nur rund 25.000 bis 30.000 Menschen gleichzeitig bei Second Life eingeloggt.
Dieses Phänomen bestätigt auch eine Studie der Fittkau & Maaß Consulting GmbH, die im Frühjahr rund 100.000 deutsche Internet-Nutzer zu verschiedenen Web-2.0-Themen befragt hat. Zwar kennen rund 70 Prozent der Befragten Second Life - selbst bei den über 50-Jährigen liegt dieser Wert noch bei 55 Prozent. Doch es haben sich lediglich 7,8 Prozent bisher einen Avatar gebaut und sich selbst bei Second Life versucht.
Noch ernüchternder sieht ein genauerer Blick auf diese Nutzergruppe aus: Gerade mal etwa ein Zehntel wird von Fittkau & Maaß zu den "aktiven Nutzern" gezählt, wofür sie lediglich einmal pro Woche oder öfter vom First ins Second Life wechseln müssen -- das sind nur 0,8 Prozent der gesamten Internetnutzerschaft. Mit zunehmendem Alter sinkt der Anteil rapide, von 2,2 Prozent bei Teenagern bis 0,3 Prozent bei über 50-Jährigen.
Ähnlich gering ist auch der Anteil der Second-Life-Registrierten die einmal pro Monat oder pro Quartal vorbeischauen. Der Großteil der Befragten hingegen - 64,9 Prozent - war ganz genau einmal in der Second-Life-Welt unterwegs: am Tag ihrer Registrierung. Nach ein paar unbeholfenen Schritten entschieden sich diese Leute dann wieder für das erste Leben. Was bleibt, ist ein Millionenheer von Karteileichen, bei dem man sich lieber nicht ausrechnen möchte, wie viel Strom ihre Archivierung auf den Linden-Servern kostet.
Nun fragt sich natürlich, ob aufgrund dieser schmalen Nutzerzahlen die hektischen Errichtungen zahlreicher virtueller Firmen-Hauptquartiere und -Flagship-Stores in den vergangenen Monaten nicht weitestgehend sinnlose "Wir-sind-auch-dabei"-Aktionen waren. Laut Florian Renz von Fittkau & Maaß ist das nur zum Teil richtig: "Die Ergebnisse der Studie sind ja eigentlich keine Überraschung. Sie bestätigen bloß das, was vorher viele ohnehin dachten, aber nie mit Zahlen belegen konnten: Second Life ist nicht der Super-Hype. Es spricht eben eine ganz spezielle Nutzerschaft an." Und daher mache es auch Sinn zu werben - für Unternehmen die gezielt eben jene aktiven Nutzer ansprechen wollen.
Diese sind, zumindest in Deutschland, zu 62 Prozent männlich, rund die Hälfte von ihnen ist unter 30 Jahren alt. Der Anteil von Berufstätigen unter ihnen ist leicht unterdurchschnittlich und sie zeichnen sich durch eine hohe Computeraffinität aus: 79 Prozent geben Computer/IT als Hobby an. Also die klassischen Nerds? "Nicht ganz", sagt Florian Renz, "eher eine Gamer-Zielgruppe."
Second Life nur wegen solcher Zahlen bereits als geplatzte Blase zu sehen, wäre also falsch. Nach wie vor wächst die Zahl der regelmäßigen Nutzer, genau so wie die Gesamtzahl der in Second Life verbrachten Stunden und die getätigten Umsätze. Und immerhin 12,3 Prozent der aktiven Nutzer geben an, durch Second Life schon Produkte aus der realen Welt kennengelernt zu haben. Die Wahrheit liegt daher wie so oft irgendwo zwischen der Überhöhung und der spöttischen Hab-ich-doch-gewusst-Haltung, die in der Berichterstattung über Second Life zuletzt prägend waren: Second Life ist einer von vielen virtuellen Treffpunkten - bei weitem nicht der größte, aber eben auch nicht irgendeine.
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