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Sechs Monate Krieg in LibyenVon allen Seiten auf die Hauptstadt

Die Spaltung der Aufständischen aus Ost, West und Süd ist eher politisch denn regional, die Koordination funktioniert. Wie die Aufständischen Tripolis umzingelten.

Sie kamen von allen Seiten: Rebellen auf dem Weg zur Front. Bild: dapd

Sechs Monate und sechs Tage hat es gedauert, bis der libysche Volksaufstand gegen Diktator Muammar al-Gaddafi ans Ziel gekommen ist. Die arabische Revolution erreichte Libyen Mitte Februar, direkt nach dem Fall von Husni Mubarak in Ägypten am 11. Februar. Die Festnahme des populären Anwalts Fethi Tarbel in Bengasi am 15. war das Fanal für einen "Tag des Zorns" in Libyen zwei Tage später.

Landesweit gingen Menschen auf die Straßen; Scharfschützen des Regimes töteten Dutzende von ihnen, aber mancherorts schlossen sich Teile der Sicherheitskräfte den Demonstranten an. Mehrere Städte, darunter die zweit- und drittgrößten Städte Bengasi und Misurata sowie Tobruk im Osten und Sawijah im Westen und auch Teile der Hauptstadt Tripolis, entglitten Gaddafis Kontrolle.

Gaddafi ließ nie einen Zweifel daran, dass er den Weg von Tunesiens Ben Ali oder Ägyptens Mubarak nicht wählen würde. Ab 22. Februar setzte das Regime Panzer, Kampfflugzeuge und schwere Artillerie ein, um die Proteste niederzuschlagen. Doch die Regimegegner bewaffneten sich ihrerseits. Sie gründeten in Bengasi am 27. Februar eine Gegenregierung, den Nationalen Übergangsrat, und zu Tausenden strömten Jugendliche mit Gewehren auf Pick-ups durch die Wüste, um von Osten her das Land zu erobern. Ihr politischer Enthusiasmus sollte ihre mangelnden militärischen Fähigkeiten kompensieren.

Der historisch rebellische Osten

Doch dann kam die Gegenoffensive des Regimes, und Gaddafis Truppen standen am 17. März kurz vor Bengasi - jenem Tag, an dem der Sicherheitsrat in New York seine Libyen-Resolution zum militärischen Schutz der Zivilbevölkerung verabschiedete und französisch-britische Luftangriffe einsetzten.

Die Kriegsfront im Osten blieb danach im Wesentlichen stabil. In Bengasi residierte der Übergangsrat, in dem sich hochrangige Überläufer des Regimes ebenso wie Vertreter der einzelnen Regionen, Säkularisten, Islamisten, arabische Nationalisten, Sozialisten und Geschäftsleute sammelten. Bis heute sind nicht alle Mitglieder des Rats namentlich bekannt. Seine Zusammensetzung, vor allem aber der Mord am Militärführer Abdel Fattah Junis am 28. Juli, lösten zahlreiche Spekulationen über innere Differenzen unter den Rebellen aus, verbunden mit der Frage, ob sie überhaupt fähig seien, Libyen zu regieren. Auch wurde von internationaler Seite gern die Spaltung des Landes zwischen Rebellen im Osten und Gaddafi im Westen betont, die zu einem Zerfall Libyens führen könne.

Wenn es aber eine Spaltung gibt, dann ist sie ein direktes Ergebnis von Gaddafis Politik. Der historisch rebellische Osten, die Cyrenaika, wurde vom Regime in Tripolis vernachlässigt, von Infrastrukturmaßnahmen profitierte vor allem der Westen. Die dritte Region des Landes, Fessan im Süden, ignorierte Gaddafi keineswegs, da diese für ihn ein Einfallstor in die weiter südlich gelegenen Länder Afrikas war.

Gaddafis Gegner haben demgegenüber immer wieder ihre Einheit betont. Entschieden wurde der Krieg letztlich nicht im Osten, sondern im Westen.

Als die ostlibysche Kriegsfront ab Ende März festgefahren war, verlagerte sich das dramatischste Kriegsgeschehen nach Misurata, der belagerten Küstenstadt östlich der Hauptstadt, deren Widerstand Gaddafis Militär nicht hatte brechen können. Unter Dauerbeschuss bis Anfang Mai starben in Misurata vermutlich Tausende von Menschen.

Die entscheidenden Schläge gegen Gaddafi kamen aus einer dritten Front, die alle Seiten zunächst vernachlässigt hatten: die Nafusa-Berge, die sich südlich von Tripolis bis an die tunesische Grenze ziehen. Hier war die Berber-Minderheit im Februar ebenfalls in den Aufstand getreten. Gaddafis Militär schaffte es danach nicht, die Stadt Sintan und die Region zurückzuerobern. Es trieb lediglich Zehntausende Menschen in die Flucht nach Tunesien. Doch am 21. April eroberten bewaffnete Berber-Kämpfer erstmals einen Grenzposten zu Tunesien, und das Blatt begann sich zu wenden.

Von den Bergen an die Küste

Ab Juni waren die Berber-Rebellen gut genug organisiert, um ein Dorf nach dem anderen zu erobern, französische Waffenabwürfe entgegenzunehmen und in regulären Kontakt mit dem Nationalrat in Bengasi zu treten.

Anfang Juli kappten sie die Ölpipeline, die aus dem Süden Libyens nach Sawija führt, wo die wichtigste Ölraffinerie zur Versorgung von Tripolis steht, und begannen mit Vorstößen ins Tiefland, während zugleich aus Misurata die bewaffneten Kämpfer, die ihren Belagerungsring durchbrochen hatten, immer weiter ins Umland vorrückten.

Zum Zeitpunkt des Mordes an Militärchef Junis in Bengasi am 28. Juli schien die Initiative endgültig an den Westen überzugehen. Seitdem sind die Rebellen aus den Bergen an die Küste vorgestoßen, haben Sawija eingenommen und schließlich zusammen mit ihren Waffenbrüdern aus Misurata Tripolis in die Zange genommen.

Nun treffen zwei Welten aufeinander: die Kämpfer aus den Nafusa-Bergen und Misurata, die die Hauptlast des Krieges getragen haben, und der Nationalrat aus Bengasi, der als Regierung über diplomatische Anerkennung verfügt und die Staatsfinanzen beansprucht. Dies ist weniger eine regionale als eine politische Spaltung.

Dennoch: Die Koordination zwischen Bengasi, Misurata und Sintan in den Nafusa-Bergen funktioniert. Während die Hafenstadt von See her mit Nachschub versorgt wird, haben die Rebellen im Westen nahe der Stadt Sintan inzwischen eine provisorische Landebahn mit einem täglichen Shuttle von und nach Bengasi. Hier befindet sich inzwischen auch das Hauptquartier der Tripolis-Brigade, der in Qatar ausgebildeten Elitetruppe der Rebellen, inklusive Laptops und Satellitentelefonen.

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6 Kommentare

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  • BG
    Bernd Goldammer

    Kann es sein, dass ihr lügt? Ich habe Gaddaffis Sohn heute im ARD Frühstücksfernsehen gesehen. Er war frei und guter Dinge und lief auf den Straßen von Tripolis. Sagt lieber ihr wisst nichts. Das ist besser als Lügen nachplappern.

  • D
    Dreamwalker

    Ich wollte es kaum glauben aber googeln sie einmal "Lybia the truth" (Lybien die Wahrheit) - unglaublich, es scheint als sei der Krieg von langer Hand durch die USA geplant - warum? Öl! Machen sie bitte die Augen auf, lassen sie nicht zu, dass so etwas einfach durchgeht. Sonst erleben wir die gleiche Geschichte, wie mit Saddam Hussein und seinen niemals gefundenen Massenvernichtungswaffen aufgrund derer die USA damals einen Krieg begann!

     

    Ich bin fassungslos wie so etwas geschehen kann! Wie lange wollen wir noch zuschauen?!

  • TR
    Taz-Propaganda-Lügen über Rebellen und das Morden in Libyen

    Ihre Schilderungen über die Rebellen sind einfach widerlich, erschreckend und entsprechen in keinster Weise der Realität bzw. sind vollkommen absurd. Ihre Rebellen sind nichts anderes als Sartrappen der NATO, sie wären nichts ohne deren massive Unterstützung - militärisch und in jeder anderen Weise und sie genießen nur die Unterstützung in einem geringen Teil der Bevölkerung. Es handelt sich in der Tat um einen NATO-Krieg bei dem die Rebellen nur die Statistenrolle spielen. Völkerrechtswidrig wurden die Rebellen schon vor Beginn der Ereignisse um den 15/16/17 Februar diesen Jahres massiv und in ungeheurer Menge mit WESTLICHEN Waffen und Munition versorgt und von westlichen Instruktoren im Umgang damit geschult. Die sogenannten Rebellen sind zum großen Teil Mitglieder des Al-Kaida Ablegers 'Libyan Islamic Fighting Group sowie der 1981 vom CIA gegründeten National Front For The Salvation of Libya, von Katar bezahlte ausländische Söldner, 'befreite' Stafgefangene und monarchistisch eingestellte Stammeskrieger. Das erschütternde Ergebnis einer französischen Studie über den antidemokratischen Charakter der libyschen 'Rebellen' scheint weder sie noch die NATO zu interessieren (http://www.english.rfi.fr/node/95867). Noch schlimmer: Nach der Devise von Henry Kissinger "Wir haben keine Verbündeten auf Ewigkeit und wir haben keine dauerhaften Feinde. Unsere Interessen sind immerwährend" führt die NATO einen schmutzigen Krieg im Contra-Stil ausgerechnet mit Al-Kaida an vorderster Front. Und dieser Krieg hat überhaupt nichts mit dem 'Schutz von Zivilisten' aber vielmehr mit 'regime-change' zu tun! Wie kann das sein? Ging es nicht um den Schutz von Zivilisten? Stattdessen unterstützen die NATO-Mitglieder gerade die skrupellosesten und brutalsten Terroristen und Verbrecher der Welt in einen bewaffneten Aufstand und gleichzeitig erzählt man uns von 'friedlichen Demonstranten' die angeblich - was mitlerweile mehrmals widerlegt wurde - von Gaddafi bombardiert würden. Es gibt etliche belegte Zeugenaussagen und Berichte von Menschenrechtsorganisationen über die Brutalität der Rebellen, Massakern, Vergewaltigungen, Lynchmorden, Brandschatzung und Raub. Im Internet kursieren Videos mit fürcherlichen Gräueltaten , Menschen werden beim lebendigen Leibe regelrecht im Al-Kaida Stil geschlachtet, die Leichen verbrannt - die westlichen Medien, als hätten sie sich untereinander abgesprochen, schweigen. Der Westen betreibt seit vielen Jahren den Sturz von Gaddafi und der Aufstand war lange von westlichen Geheimdiensten geplant und vorbereitet werden. Von einer spontanen und wie schon gesagt friedlichen Revolution kann also gar keine Rede sein. Der 'arabische Frühling' bot dann die ideale Gelegenheit, die lang gehegten Pläne in der öffentlichen Wahrnehmung scheinbar als Fortsetzung dieser Ereignisse umzusetzen. Wobei die Situation mit der in Tunesien oder Ägypten überhaupt nichts miteinander zu tun haben! Soziale Gründe können nun im Gegensatz zu den anderen arabischen Ländern beim besten Willen im wohlhabensten Land Afrikas nicht vorliegen. Vielmehr wurden Stammeswidersprüche und die starke Präsenz von Islamisten vom Westen kaltblütig ausgenutzt, um einen Bürgerkrieg vom Zaun zu brechen. Diese bewaffneten Gangs brandschatzen, rauben, töten und lynchen im Al-Kaida Stil. Die Gesetzlosigkeit und das Klima von Angst und Gewalt sind chronisch in den Rebellengebieten. Morde und gewalttätige Konflikte untereinander sind keine Seltenheit. Jetzt wird dieser allgemeinen Anarchie, Kriminalität und Gesetzeslosigkeit mit Hilfe der NATO der Weg in zuvor friedliche und sichere Städte freigebomt. In Tripolis hat nun die Stunde der langen Messer geschlagen. Die Zivilbevölkerung ist nun ungeschützt Al-Kaida Terroristen, bewaffneten Schwerverbrechern und Räuberbanden ausgeliefert. Als wäre der vorhergehende Bombenterror der NATO nicht genug gewesen werden nun die schlimmsten Menschheitsverbrechen unter der Schirmherrschaft der NATO begangen. Diese grausamen Verbrechen der NATO sind nur möglich, weil ihre Komplizen in den Mainstreammedien bereitwillig die Lügenberichterstattung der NATO übernehmen und mit Inbrunst vertreten. Es handelt sich eindeutig um Kriegspropaganda weil der journalistische Auftrag einer neutralen und faktengetreuen Berichterstattung auf krasse Weise verletzt werden. Journalisten, welche Kriegspropaganda betreiben oder wissentlich Tatsachen um einen Angriffskrieg anzuzetteln zurückhalten, können sich nach den UNO-Resolutionen 110 (1945) und 381 (1950) völkerrechtlich strafbar machen. Ich mache Sie persönlich mit Ihrem verblendeten und faktenresistenten Propagandajournalismus mitverantwortlich für das, was in Libyen jetzt vorgeht - die Zehntausenden von Toten und die ungezählten verletzten, traumatisierten und entwurzelten Menschen - die verheerenden Zerstörungen durch die NATO-Bomber und die Kämpfe! Ihren Hurrajournalismus empfinde ich als obszöne Verhöhnung der Kriegsopfer in Libyen! Es geht um Öl, Marktdurchdringung, geostrategische Kontrolle und die Rekolonialisierung Afrikas und Sie verkaufen uns das Ganze als demokratische Revolution - als PR-Mitarbeiter der NATO und von Ölkonzernen würde ich das durchgehen lassen, als Journalist machen Sie sich mitschuldig am Genozid gegen die Libyer!

  • JO
    Jürgen Orlok

    na nun zeigt die taz ja eigenes Profil ...

    nur spricht die Weltpresse davon, daß der Anteil der NATO am Kriegserfolg um die 80% liegt ... oder mehr !!

     

    Aber taz-Leser brauchen ja eine erlogene Welt, sonst würden sie vielleicht noch an ihre Vergangenheit verzweifeln !!!

     

    Aber da bin ich wohl zu optimistisch ...

  • K
    Kati

    Deswegen ist die taz so kriegsgeil. Sie beschreibt Krieg als romantisches Abenteuer. Mit euerer Propganda seid ihr geistige Mittäter bei den Toten dieses Krieges.

  • E
    EuroTanic

    Angesichts des massiven Bombardements der Nato auf Tripolis - alleine in einer Nacht cirka 3000 Tote. Das ist ungeheuerlich! Dies ist kein Schutz von Zivlisten. Dies ist ein Massaker an friedlichen Bürgern.

     

    Libyen hat kein Land überfallen. Nicht Afghanistan, nicht den Kosovo, nicht Irak, nicht den Sudan und und und. Libyen hat keine über 100 Militärbasen auf der ganzen Welt und keine Atombomben und biologische und chemische Waffen. Das alles hat aber Amerika. Wer ist hier der Diktator und eine Witzfigur? Obama hat den Friedensnoblepreis erhalten und ist an allen Angriffkriegen gegen friedliche souveräne Länder beteiligt gewesen die mehrere Millionen Tote gefordert haben, das ist ein Witz.