Schwups: ein Wunschtraum

■ Die Langzeitdiseusen Mira, Künneke, Vita luden vorm Konzert zum Gespräch

Rund 120 Aufführungen ihres Programms „Drei alte Schachteln“ haben Evelyn Künneke, Brigitte Mira und Helen Vita hinter sich. Nur achtmal mußte es wegen Krankheit ausfallen berichtet Pianist Frank Golischewski. Bei Erklältungsanflug läßt sich die Mira lieber Vitaminspritzen verpassen als abzusagen. Dem Glockepublikum, der Großteil um die 50, aufgelockert durch eine kleine Schwulen-Lesben-Fraktion, legten sie denn vor allem Zeugnis ab von der (etwas anderen) Energie des Alters. Sie speist sich aus Ironie und Lebenserfahrung. Künnekes voluminöser Körper streikt – Rheuma, Arthrose – aber die Mimik ist die eines Mädchens. Zerklüftet wie ein Hochgebirgsmassiv sind die Stimmen, aber der Charme der Damen macht solche Einbußen wett.

taz: Helen Vita, gerade Frauen der älteren Generation, empfanden Ihre Frivolität als Akt der Emanzipation.

Vita: So? Es gibt aber auch Frauen, die sehen das gar nicht so, die meinen, es sei die Verherrlichung des Mannes.

Gibt es Witze, bei denen Sie noch rot werden?

Vita: Nein. Aber jede Menge, über die ich nicht lachen kann. Ich mag keine Zoten. Aber ich sehe schon, Sie kennen meine Platten gar nicht. Ich singe nämlich keine unanständigen Lieder, sondern Tucholski.

Mira: Und der ist charmant.

Aber es war für eine gewisse Generation sehr wichtig, Frauen entspannt und gewitzt über Sexualität reden zu hören. Interessiert Sie das nicht?

Vita: Nein. Da bin ich sehr heikel, immer wieder auf diese Lieder aus den 60ern angesprochen zu werden. Schließlich habe ich in über 50 Jahren Schauspielerei tausend andere Dinge gemacht. Und jetzt wirft man mir das immer noch vor. Ich hasse das. Bei jedem Interview, immer wieder „das Recht der Frau“ und so einen Scheiß, das ertrage ich nicht.

Wie halten Sie eigentlich ihre Stimmen fit, Stimmtraining?

Vita: Nein, keinesfalls. Brigitte Mira ist ein Stimmwunder, sie macht mal kurz mmmmmmm und die Stimme sitzt. Ich dagegen singe mich ewig lang ein und krächze dann auf der Bühne.

Wie lange werden Sie noch die Bühnen dieser Welt erklimmen?

Mira: Das ist auch so eine Frage, die wir nicht schätzen.

Vita: (grimmig nachäffend) ,Wie lange wollen Sie denn noch? Sie sind doch eigentlich schon Rentner': Das sind ganz schlechte Fragen, Kindchen.

Mira: Wir werden auftreten, solange das Publikum uns will. Bei den durchwegs ausverkauften Häusern, die wir haben, fragen Siiie (bitterböse), wie lange wir das noch machen? Spüren Sie denn nicht die Taktlosigkeit Ihrer Frage?

Ich wollte niemanden beleidigen. Ich dachte nur, irgendwann verliert man die Lust am Auftritt.

Vita: Davon hat man nie die Schnauze voll, daß die Leute Bravo rufen und trampeln.

Mira: Wir lieben unser Publikum. Ich lebe für mein Publikum. Und wir schmeicheln ihm gerne. Ich hoffe, der liebe Gott hat ein Einsehen, daß ich keine Krankheit bekomme und daß ich auf der Bühne, wenn die Vorstellung aus ist, schwups, umfalle.

Vita: Das wäre ein Wunschtraum.

Durch welche Länder sind Sie mit ihrem Programm getourt?

Vita: Wir sind deutschsprachig, Schätzchen! Wir sind keine Schlagersänger. Die Sprache ist wichtig. (Zu Mira) Sie weiß einfach nicht, wer wir sind.

(verzweifelt) Aber ich verehre Sie, Frau Mira, doch im Fassbinderfilm „Angst essen Seelen auf“.

Mira: Ja, das ist aber auch nicht die Welt. Es war sehr wichtig für mich, es ist aber vorbei. Den Film verstehen Sie vielleicht, aber uns verstehen Sie nicht. Sie müssen unser Programm sehen. (Resigniert zu Vita:) Aber vielleicht gefällt's ihr gar nicht.

Gehen Sie noch gerne ins Kabarett, ins Theater?

Vita: Biggi viel, ich bin faul. Ich trau' mich nicht alleine.

Mira: Ich spiele sehr viel am Kurfürstendammtheater.

Manche Lieder haben Sie ein ganzes Leben begleitet. Ändert sich die Einstellung?

Vita: Bei Brechts „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ nicht.

Mira: (zärtlich) Oh, das liebe ich sehr, Du solltest es wieder singen.

Vita: (zärtlich) Meinst Du? (nüchtern) Gedichte von Tucholski ändern sich mit zunehmender Reife. Man sagt dasselbe, aber man sagt es anders.

Frau Künneke, Wissen Sie, warum Sie die Schwulenszene wie eine Göttin verehrt?

Künneke: Ja. Als junge Frau war ich Tänzerin. In der Nazizeit haben ich und meine Kolleginnen oft Meineide geschworen, damit unsere schwulen Kollegen nicht in den Knast kommen. Später habe ich mich in Talkshows für diese Sache eingesetzt. Da auch Enten schwul sind, kann es sich dabei nicht um eine Familientragödie handeln, sondern um eine Maßnahme der Natur. In Berlin gelte ich als die Mutter der Schwulen.

Wo lernten Sie Rosa von Praunheim kennen?

Künneke: In Berlin bei einem Tuntenball. Er trug übrigens Jeans. Ich habe seinem Film über mein Leben – „Ich bin ein Antistar“ – mein Comeback zu verdanken. Dadurch habe ich einen Schallplattenvertrag bei Teldec bekommen. Mein Engagement für Schwule hat quasi Früchte getragen.

Die Stimme verändert sich im Lauf der Jahre.

Künneke: Meine nicht. Die ist jung geblieben. Ich kann übrigens auch singen. Ich blöke nicht daher, ich bin keine Rockkapelle. Ich habe das gelernt. Fragen: Kern

Vitas Pudel heißt Jenny. Schließlich durfte sie mit 62Jahren noch anfangen, Brechts Seeräuberjenny zu spielen. Des Pudels Krone (das Kopfhaarbüschel) sollte man keinesfalls berühren. Neben dem Pudel muß das Management immer einen Rauchertisch hinter der Bühne für die Künneke im Auge behalten