: Schwules Mekka zwischen Party und Politik
■ Berlin ist eine Homo-Hochburg. Das verdankt die Stadt den 200.000 Schwulen und Lesben, die dort leben, einigen Legenden und ihrem toleranten Klima
Schwule gibt es auf der ganzen Welt, überall in Deutschland und besonders viele, nämlich 200.000, in Berlin. Ohne Zweifel: Berlin ist die schwule Hauptstadt. Doch was hat Berlin, was beispielsweise der riesige Ballungsraum Ruhrgebiet nicht hat? Ganz einfach: Berlin hat seine schwulen Legenden. Unkaputtbar kursiert etwa die Geschichte, daß alle Straßenbahn- und Omnibusfahrer der östlichen Stadtbezirke stockschwul seien. Das sei den restriktiven Zuwanderungsbestimmungen der DDR- Oberen für die Exhauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik zu verdanken: Nur Aspiranten auf bestimmte Berufszweige war es erlaubt, den – gerade von schwulen Männern – heiß begehrten Einzug in die für real existierende sozialistische Verhältnisse vor schwulem Leben nur so sprudelnde Metropole an der Spree zu vollziehen.
Berlin hat auch und gerade nach dem Mauerfall nicht nur aufgrund seiner schwulen Mythen seinen homophilen Reiz. Die Stadt gilt als liberale, internationale Insel innerhalb des biedermeierischen deutschen Sprachraumes: Die neuen Saunen, wie das Treibhaus, die Motzstraße, seine acht schwulenfreundlichen Parkanlagen, und die über fünfzig männersextauglichen Klappen (öffentliche Bedürfnisanstalten) sind legendäre Orte schwulen Daseins und körperlicher Genußempfindungen.
Legendär ist auch die Berliner Version des Christopher Street Day. Der weltweit stattfindende Feiertag aller Homophilen. Er erinnert an die Prügeleien vor dem Stonewall Café auf der Christopher-Street in New York im Juni des Jahres 1969. Die Besucher des Tuntenladens wehrten sich dort gegen die willkürlichen Razzien der bewaffneten, gewaltbereiten Polizei. Über 50.000 Lesben und Schwule werden laut Veranstalter am 29. Juni zum 18. Mal in Folge mit schrillem Outfit und politischen Forderungen auf der Berliner Massenveranstaltung karnevalesk ihre Hüften schwingen.
All das bedeutet: Berlin ist die Emigrationsmöglichkeit für Schwule schlechthin. Egal ob Ledertrine, Tunte, Journalist oder der schwule Malocher aus dem Ruhrgebiet. Obwohl an entgegengesetzten Enden dieser Republik gelegen, wirkt Berlin wie ein demoskopischer Staubsauger auf die Schwulen des Ruhrgebiets. Urbane Landschaften, weitläufig und gänzlich aus tristen Wohnblocks und Straßenzügen bestehend, sind dem homosexuellen Exilberliner aus dem Ruhrgebiet bereits vertraut. Neu hingegen ist das gegenüber Homos weitgehend offene Klima. In das durch eine stark vernetzte schwule Infrastruktur für Homos äußerst attraktive Berlin zogen deshalb auch die – etwas makaber als „Sterbetouristen“ titulierten – HIV-Positiven aus dem Ruhrgebiet in die Berliner Schwulenviertel. Die Aidshilfe im Pott lag jahrelang nahezu brach. Schwulenpolitische Geburtsstunden, wie die der in Berlin konzipierten Kampagne der Deutschen Aidshilfe „PositHiv Wellcome“ finden daher ein breites Echo. Robert Niedermeier
Infos zum Christopher Street Day in Berlin (am 29. Juni) sind bei Mann-O-Meter erhältlich: Telefon 2168008
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