Schwule Skinheads – (k)ein Widerspruch?

Die Ankündigung schwuler Skinheads, Ende Juni an einer der beiden Christopher-Street-Day-Demonstrationen in Berlin teilzunehmen, hat in der Schwulen- und Lesbenszene eine heftige Debatte ausgelöst  ■ Von Jean Jacques Soukup

Die Ankündigung der „Gay Skinhead Movement (GSM)“, bei einer der beiden Christopher- Street-Day-Demos Ende Juni in Berlin mit einem eigenen Block vertreten zu sein, hat in der Lesben- und Schwulenszene für Irritation gesorgt. In einem Flugblatt rufen die schwulen Skins zu einer „Demo in der Demo“ auf: „Jeder (nicht nur schwule) Skin ist aufgerufen, präsent zu sein.“

Die GegnerInnen des Skinheadblocks befürchteten, bei der GSM könnten auch schwule Naziskins dabeisein. Sie forderten die Gruppe auf, „den Aufruf zum Skinheadblock zurückzuziehen“, sowie eine „eindeutige Distanzierung von neofaschistischen, rassistischen, sexistischen und antisemitischen Inhalten“. Die Schwule Internationale (SI), eine Berliner Gruppe, in der sich schwule Immigranten organisiert haben, ergänzte die Forderungen: „Skinhead ist in Deutschland eine Selbstbezeichnung, die für brutale Gewalt gegen Ausländer, gegen Schwule, gegen Minderheiten steht.“ Die GSM, die sich in Deutschland seit September 1992 organisiert, hat in Berlin nach eigenen Angaben derzeit zwanzig Mitglieder und Anhänger, auch in Hamburg und München haben sich kleinere Gruppen gebildet. Bundesweit sind bisher 35 Skins dabei, „Lesben noch nicht“.

Mit Postfach und Bankverbindung firmierend, orientieren sich die Gründer der GSM am britischen Vorbild. Zwar war ihnen eine gleichnamige Gruppe in Frankreich unbekannt, Kontakte reichen jedoch bis zur GSM in San Francisco.

Einer gerade veröffentlichten Studie von Eberhard Seidel-Pielen und Klaus Farin zufolge dürften ungefähr 450 von den 8.000 deutschen Skinheads schwul oder lesbisch sein: In der zu 80 Prozent männerdominierten Szene bezeichneten sich 5,6 Prozent der Befragten als „homosexuell“. Seidel- Pielen und Farin beschreiben in ihrer Studie das rechtsradikale Netzwerk innerhalb der Skinheadszene, aber auch Skins, die sich als Antirassisten verstehen.

Die GegnerInnen des Skinheadblocks befürchteten, die GSM könne ein Abbild der gesamten Skinszene sein. Der Studie zufolge bezeichnen sich knapp 20 Prozent aller Skins als rechtsradikal, etwas über 20 Prozent als rechts; 15 Prozent als liberal; 17 Prozent als links oder grün; 8,6 Prozent als linksradikal und 12,8 Prozent als unpolitisch oder antipolitisch. Die GegnerInnen warfen der GSM vor, durch die Einladung von „allen Skinheads“ zur Demo eine Akzeptanz rechter Skins signalisiert zu haben. Die GSM reagierte mit dem Hinweis, der SHARP nahezustehen, also der 1988 in England entstandenen Gruppe „Skinheads against Racial Prejudice“, die sich im selben Jahr auch in Deutschland organisierte. Die Gruppe hat sich in England Straßenschlachten mit Naziskins, den Boneheads, geliefert; zu ihr rechnen sich die meisten Skinheads in Deutschland.

Minimalkonsens der SHARP ist der Antirassismus, im Gegensatz zu Redskins sind SHARPs aber nicht unbedingt links. Genannter Studie zufolge zählen sich 38,9 Prozent der Skins zur SHARP, 20,9 Prozent sind Redskins und 17,1 Prozent Naziskins. 31,5 Prozent haben auf die Frage, was für sie die wichtigste politische Forderung ist, der multikulturellen Gesellschaft eine Absage erteilt, während 17,1 Prozent der Befragten diese forderten.

SkeptikerInnen zweifelten wiederum an der Formulierung, die GSM „stehe der SHARP nahe“: Das könne „bedeuten, daß trotzdem Naziskins dabei sind“. Hans- Thomas, GSM-Mitbegründer und Student an der Freien Universität Berlin, sagte der taz: „Wer bei der GSM Mitglied werden will, darf kein Naziskin sein, schwule Skins mit Nazivergangenheit müssen sich distanzieren und während einer Probezeit auch so verhalten.“ Außerdem sei die Gruppe „antirassistisch“, die politischen Einstellungen bei den Mitlgiedern reichten „von PDS bis CSU“.

Das entspricht auch der Einschätzung Thomas Tichelmanns, der sich als Pressesprecher des European Lesbian and Gay Pride (ELGP) und Mitarbeiter des Gewaltprojektes des Berliner Infoladens Mann-O-Meter seit Dezember '92 mit der GSM befaßt. Ihm zufolge sind bei der GSM tatsächlich „keine Faschos“.

Entgegen den allgemeinen Vorstellungen ist es kein Widerspruch, Skinhead und „unpolitisch“ zu sein. Die Studie dazu: „Das identitätsstiftende Bindeglied“ sei „weder (Anti-)Rassismus noch Lust auf Randale, sondern die Musik“: Oi!, Ska, Reggae, Punk und Soul.

Die Frage nach ihrer Gewaltbereitschaft beantwortet Hans-Thomas im Gespräch mit der taz mit einer Einschränkung: „Wir sind gegen Gewalt, sowohl gegen rechts, gegen links, gegen Aus- und Inländer.“ Aber sie würden sich „gegen Angriffe wehren und sich nicht als Fußabtreter mißbrauchen lassen“. Bedroht fühlten sie sich vor allem durch türkische Jugendliche, aber auch durch Nazis: „Auseinandersetzungen lassen sich nicht vermeiden.“ Auf Akzeptanz dürften sie bei den GegnerInnen des Skinheadblocks damit nicht stoßen, wird doch Paranoia als Legitimationsstrategie für Gewaltbereitschaft in weiten Teilen der Lesben- und der Schwulenszene abgelehnt.

In den Infos, die die GSM auf Anfrage verschickt, wird der Aufbau einer „Wehr- und Kampfsportgruppe für Selbstverteidigung“ angekündigt. Hans-Thomas verweist auf die Anführungszeichen und begründet die gewählte Bezeichnung so: „Das ist nur eine Falle, damit wir durch die Antwortbriefe herausfinden, ob wir es mit Naziskins zu tun haben.“ Und weiter: „Das ist notwendig, um uns selbst zu schützen.“

Für Skepsis sorgt auch das Logo der GSM: ein Bild von Nicky Crane. Der zweitprominenteste britische Skinhead – in den 80ern einer ihrer prominentesten Aufhetzer und Schläger sowie bester Freund des faschistischen Skrewdriver-Sängers Ian Stuart – outete sich letztes Jahr selbst in einer Sendung des TV-Channel 4 und distanzierte sich von der faschistischen National Front. Wie bei Michael Kühnen folgten dem Coming-out Cranes massive Auseinandersetzungen innerhalb der National Front. Obwohl das Schwulsein weiterer Kultmusiker in der Szene bekannt ist, folgte Cranes Beispiel kein weiterer Skin-Promi. „Seine früheren Freunde“, so ein GSM-Flugblatt, ließen „Crane nur deshalb weiterleben, weil er sowieso in absehbarer Zeit an Aids sterben wird.“ Daß er HIV-positiv ist, hat Crane öffentlich gemacht; an Aids erkrankt ist er wohl noch nicht, denn heute arbeitet Crane als Rausschmeißer in der Londoner Schwulen- und Lesbendisco „Heaven“.

GegnerInnen des Skinheadblocks fürchteten eine Gefahr für andere DemoteilnehmerInnen. Zwar waren beim Überfall auf das lesbisch-schwule Frühlingsfest im Gründerzeitmuseum in Berlin- Mahlsdorf entgegen früherer Berichte in taz wie Bild keine Skinheads beteiligt, sondern Scheitelnazis – aber durchaus bei anderen Überfällen, wie die Recherchen des Berliner Journalisten Jens Dobler belegen: Im Oktober 1990 haben fünf Skinheads die Scheiben des Bonner Lesben- und Schwulenzentrums eingeworfen. Bei zwei Überfällen im Bremer Schwulenpark 1985 und 1991 sind Skins als Täter registriert, in der Zeit zwischen 1989 und 1991 wurden in Wilhemshaven sieben Angriffe von Skinheads auf Schwule dokumentiert. Schwule wurden im Park, auch unter Einsatz von Pistolen, bedroht und zusammengeschlagen. Ein Opfer wurde so schwer verletzt, daß es mehrere Monate im Krankenhaus lag. Auch in Hannover wurden zwei Schwule beim Verlassen einer schwulen Disco von drei Skinheads überfallen: „Jetzt werdet ihr sehen, was euch bei Adolf passiert wäre.“ Täter könnten jene 40,6 Prozent der in der Studie Befragten sein, die Schwule und Lesben als ihre „Feinde oder Gegner“ bezeichneten. 49,6 Prozent der befragten Skinheads erklärten sich „Homosexuellen“ gegenüber „tolerant“. Auch untereinander ist die Skinheadszene stark verfeindet: 69,3 Prozent der Skins hassen Naziskins, 53,9 Prozent sehen Redskins als Feinde. Für 45,3 Prozent der Skins sind auch Punks Feinde, bei 44,9 Prozent gilt dies auch für SHARP- Skins.

Dennoch geht die GSM „gelassen“ mit der Gefahr um, „daß rechte Skins den Block angreifen“. Mit „allen möglichen Antifa- Gruppen“ wollen sie wegen deren Gegenaufrufen „vorher Gespräche führen“.

Der GSM und anderen Schwulengruppen gemeinsam ist, daß es ihnen um Selbstakzeptanz und gesellschaftliche Akzeptanz geht. Die GSM will anerkannt werden, sowohl in der Schwulenszene als auch in der Skinheadszene. In der Ausgabe des „antirassistischen Oi!-, Ska- und Punkzine“ Oi!reka vom Winter 92/93 heißt es: „Schwieriger wird es, wenn man als schwuler Skin auch zu dem stehen will, worauf man steht. Die Schwulenszene hat die gleichen Vorurteile wie Otto-Normal-Spießer, und in Glatzenkreisen muß man ja aufs Image achten. Schwule Skinheads! Der Widerspruch überhaupt, eine Kombination wie ,jüdischer KZ-Wächter‘ oder ,schwarzer Ku-Klux-Klan‘!“ In der Skinheadszene sei „das Bild vom ,echten‘ Skinhead“ verbreitet, in das der Schwule „nicht reinpaßt (Saufen, Prügeln, Ficken)“. Auf jeden Fall sei „er (der Schwule, d. Red.) kein Skinhead“.

Hans-Thomas und andere in der GSM haben Angst vor Naziskins und davor, in der Skinheadszene überall offen schwul aufzutreten: „Das könnte körperliche Folgen haben.“

Wie auch andere Schwulengruppen will die GSM isolierten schwulen Skins einen Ort bieten, wo sich Freizeit, Sex und Informationsaustausch organisieren lassen, unter anderem darüber, in welche Schwulenkneipen Skins und in welche Skin-Kneipen Schwule reindürfen. Feten, Treffen in Jugendklubs und Konzertbesuche gehören zum Repertoire des Freizeitprogramms. Bei vielen Schwulen bleibt dennoch Unverständnis für das „Skin-Life“, der Studie zufolge „eine Lebensweise, keine Mode“. Warum, fragen viele, „setzen sich Skins dem Mißverständnis aus, für Nazis gehalten zu werden“? Und: „Warum kleiden die sich so wie ihre Feinde?“

„Man muß sich nicht Nazi nennen, um faschistische Ansichten zu haben“, bemerken SkeptikerInnen, „aber das betrifft nun auch wieder alle Schwulen, Lesben und Heteros.“ Auch der Vorwurf der „Tuntenfeindlichkeit“ und „des Männlichkeitskultes“ beträfe neben der GSM auch „andere potentielle Demoteilnehmer“.

Mittlerweile ist eine Entscheidung gefallen: Die GSM wird als Gruppe – nicht als Block – bei einer der beiden CSD-Demos mitgehen. Das ist das Ergebnis eines Klärungsgesprächs am vorletzten Wochenende, an dem die GSM, aber auch Heteroskins von SHARP und Oi!reka (die auch beim CSD dabeisein wollen) sowie die Organisatoren des ELGP, die SI und die Allgemeine Homosexuelle Aktion (AHA) teilnahmen. GSM und SHARP wollen mit Transparenten gegen Rassismus und Gewalt auftreten.

Noch ist offen, zu welcher der beiden Demos die GSM geht. Wegen unüberbrückbarer politischer Differenzen darüber, wie der europaweite Lesbian and Gay Pride in Berlin gestaltet werden soll, wird es am 26. Juni zwei Demos und zwei Festivals geben. Auf dem Ku'damm wird der ELGP zu einem „Marsch für gleiche Rechte aufrufen“, das Aktionsbündnis Internationaler Christopher Street Day veranstaltet eine „Internationale Lesben- und Schwulendemo gegen Rassismus, Sexismus, Faschismus und Antisemitismus“.

Während Hans-Thomas nach dem Gespräch den Eindruck hatte, „Angebote für beide Demos zu haben“, drückt sich René Reuther von der AHA, der auch beim Aktionsbündnis Internationaler CSD dabei ist, vorsichtiger aus: „Nach dem Gespräch bin ich nicht mehr dagegen.“ Dennoch hat das Plenum des Internationalen CSD beschlossen, bei seiner Position zu bleiben: „Wir wollen sie auf unserer Demo nicht haben“, berichtet Carsten Schatz.

René Reuther, der ursprünglich „die GSM-Teilnahme mit allen Mitteln verhindern“ wollte, ist wütend: „Wieder einmal schlägt einem die geballte Einfältigkeit ins Gesicht. Während sich die einen von der ersten Schrecksekunde erholt haben und sich auseinandersetzen, genügen anderen die alten Positionen“ (das heißt die alten Vorurteile, d. Red.).

„Ich kann es schon vertreten, daß die beim ELGP teilnehmen“, erklärt Thomas Tichelmann: „Das ist auch der breite Konsens nach dem Gespräch.“ Es sei „der Schritt zur Integration“. Zudem „können wir es uns nicht leisten, eine Gruppe auszugrenzen, denen gegenüber wir Vorurteile hatten und revidieren mußten“.

Nach Auffassung vieler Schwuler würde die GSM sowieso besser zur Ku'damm-Demo des European Lesbian and Gay Pride (ELGP) passen. „Wir wollen das massenhafte Coming-out“, hatte einer der Organisatoren, Hartmut Schönknecht, erklärt. Carsten Schatz vom Aktionsbündnis Internationaler CSD: „Das Kriterium Coming-out reicht uns als Gemeinsamkeit nicht aus.“

Der Wunsch der GSM, bei der Demo in räumlicher Nähe zur Schwulen Internationalen mitzugehen („Skinheads und Ausländer gemeinsam gegen Intoleranz“), dürfte allerdings kaum in Erfüllung gehen: Ein Vertreter der Schwulen Internationale meinte dazu: „So eine Nähe ist unangebracht.“

Literatur: Farin/Seidel-Pielen: „Skinheads“, C.H. Beck-Verlag, 1993, DM 17,80; Schröder: „Rechte Kerle“, Rowohlt-Verlag, 1992, DM 14,80