piwik no script img

Schwimmweltcup in BerlinAberwitzige Zeiten

Beim Weltcup in Berlin purzeln wieder die Weltrekorde. Auch Paul Biedermann glänzt dank textilem Doping mit zwei imposanten Bestmarken. Bis Ende des Jahres gilt noch Narrenfreiheit.

Michael Phelps nach dem 200 m-Freistil-Wettkampf: Seine "alte" Textil-Badehose und sein Bart ließen keine Rekorde zu. Bild: ap

BERLIN taz | Es war der zu erwartende ganz normale Wahnsinn, der sich beim Schwimmweltcup auf der Kurzbahn in Berlin abspielte. Bereits am ersten Tag brüsteten sich die Veranstalter mit einem halben Dutzend neuer Weltrekorde. Herausragend waren dabei fraglos die Zeiten von Paul Biedermann. Der zweimalige Goldmedaillengewinner der diesjährigen WM in Rom pulverisierte am Samstag über 400 Meter Freistil die sieben Jahre alte Bestmarke des Australiers Grant Hackett. Und am Sonntag über 200 Meter Freistil verbesserte Biedermann in 1:39,37 Minuten um erstaunliche 1,46 Sekunden seine eigene Bestmarke.

Der magische Weltrekordbalken, der für das euphorisierte Publikum auf der Videoleinwand eingeblendet war, lag am Ende beider Wettbewerbe über eine Körperlänge hinter Biedermann. Im Becken konnte sowieso keiner mit ihm mithalten.

Eine Leistung, die jeweils für sich steht. Aber am Samstag interessierten sich alle fast ausschließlich für das anstehende Rennen gegen Michal Phelps über 200 Meter Freistil. Biedermann wurde gefragt, ob seine gezeigte gute Form ein gutes Vorzeichen für das mit Spannung erwartete Duell wäre.

Der große Hype um die sogenannte WM-Revanche von Rom, wo Biedermann den amerikanischen Überschwimmer (14 olympische Goldmedaillen) erstmals schlagen konnte, verpuffte am Sonntag allerdings unvermutet. Phelps verpasste als Vorlauf-Zwölfter das Finale. Dass um Biedermanns 400-Meter-Freistil-Rekord wenig Bohei gemacht wurde, ist nicht verwunderlich. Wenn sich die Schwimmerelite trifft, fallen die Weltrekorde sowieso zuhauf wie die Karamellbonbons von den rheinischen Karnevalswagen. Seit Februar 2008 sind bereits über 200 Bestmarken unterboten worden. Damals erlaubte der Weltverband (Fina) seinen Athleten, den nahtlosen Hightech-Ganzkörperanzug aus dem Kunststoff Polyurethan zu tragen. Eine Entschluss, der anfangs nicht allen zugutekam, weil nicht jeder Ausrüster die beschleunigende wasserabweisende Plastikhaut im Angebot hatte.

Nun aber können sich alle am Festzug der Rekorde beteiligen. Die Intensität der Jagd hat noch einmal zugenommen, da die Fina wegen der Gefahr der Wettbewerbsverzerrung das textile Doping nur noch bis Ende des Jahres erlaubt.

In Berlin herrschte eine Art Jahrmarktstimmung nach dem Motto: Wer will, wer hat noch nicht? Die Statements der Rekordhalter wirkten mitunter aberwitzig. Marco Koch, der die elf Jahre alte deutsche Bestmarke über 50 Meter Brust von Mark Warnecke unterbot, sagte: "Das ist eigentlich nicht meine Strecke."

Biedermann wiederum erklärte: "Das war mein erster Wettkampf seit der WM im Sommer." Und: "Ich bin dicker geworden durch meine Pause und habe eine dreiviertel Stunde gebraucht, um in meinen Anzug zu kommen." Zudem sagte er wegen eines erlittenen Muskelfaserrisses seinen Start erst am Freitag zu.

Und Steffen Deibler, der seinen erst kürzlich aufgestellten Weltrekord über 50 Meter Schmetterling um 26 Hundertstel verbesserte (21,80 Sekunden) und nun neben Biedermann der zweite deutsche Schwimmer ist, der sich in der Weltspitze etabliert, staunte: " Ich war krank und habe nach fünf Tagen Pause erst wieder am Mittwoch trainiert."

Einige profitierten zudem von einer weiteren Neuerung. Die erst seit kurzem erlaubten neuen Startblöcke mit schrägen Aufsätzen im hinteren Bereich lassen bei einem Schrittstart perfektere Sprünge ins Wasser zu. Der Südafrikaner Cameron van der Burgh (Weltrekord über 50 m Brust) schwärmte: "Jetzt bin ich beim Start noch schneller."

Biedermann, der auf dem Block seine Füße noch parallel stellt, kündigte an, er werde seine Startstellung im nächsten Jahr entsprechend umstellen.

Ausgerechnet Michael Phelps, der größte Rekordjäger aller Zeiten, beteiligte sich nicht am kollektiven Einkassieren von Bestmarken. "Ich bereite mich auf die Zukunft vor und schwimme nur in Badehose", hatte er im Vorfeld vermeldet. Er nimmt dafür ungewohnte Platzierungen in Kauf. Fünfter und Vorlauf-Zwölfter wurde er am Wochenende. Man weiß nicht so recht, was man von Phelps Auftritten halten soll. Sind es öffentliche Trainings- oder experimentelle Schwimmeinheiten? Sein wassertriefender Vollbart stand eher für letztere Vermutung.

Vielleicht teilt Phelps auch die Zweifel von Steffen Deibler, ob die textilbedingten Weltrekorde, wie die Fina beschlossen hat, wirklich ihre Gültigkeit behalten werden. Die Schwimmer in Berlin waren sich einig, dass sie schwer zu toppen sein werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!