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Archiv-Artikel

Eindrucksvolles Porträt eines Dickschädels: „Testamento“ im 3001 Schwimmen gegen den Strom

Schwimmen geht Alfonso Bauer Paiz jeden Morgen – seit 1944. Fit hält sich der 85-Jährige, um auch weiterhin gegen den Strom zu schwimmen. Das hat Bauer sein ganzes Leben lang getan, und seit dem März letzten Jahres ist Bauer ein bekannter Mann in Guatemala, der den Respekt vieler seiner Landsleute genießt. Damals lief Testamento in Guatemala-Stadt, aber auch in den Gemeindesälen von kleinen abgelegenen Orten, an Universitäten und in Flüchtlingslagern. Und die Premiere des Films hat einigen Staub aufgewirbelt, denn der Dokumentarfilm über den Rechtsanwalt und ehemaligen Minister der Regierung Jacobo Arbenz ist auch eine Reise in die jüngere Geschichte des Landes und des Subkontinents.

Bauer war Anfang der 50er Jahre Wirtschafts- und Arbeitsminister seines Landes und führte die Enteignungen durch, die letztlich zum gewaltsamen Sturz der demokratisch legitimierten Regierung führten. Die Regierung in Guatemala-Stadt hatte gewagt, Land des US-Bananenkonzerns United Fruit Company zu enteignen und rief damit die US-Regierung auf den Plan, obgleich dem Fruchtmulti Entschädigungszahlungen angeboten wurden. Fortan konspirierte die CIA gegen die Regierung um Jacobo Arbenz und war maßgeblich an dem Putsch von 1954 beteiligt. Bauer flüchtete nach Mexiko, wo er sich zwischenzeitlich in einer Imbissbude seinen Lebensunterhalt verdiente.

Gegen die Fremdbestimmung durch die USA, das Geklüngel der Eliten und gegen den Ausschluss der breiten Bevölkerung von den Reichtümern des Landes hat sich Bauer zeitlebens gewandt. Stoisch ist er seiner Arbeit nachgegangen und hat kaum ein persönliches Risiko gescheut, um auf die menschenverachtende Politik der Landesregierung aufmerksam zu machen, die von den USA gestützt wurde. Chronologisch haben die beiden Berliner Filmemacher Uli Stelzner und Thomas Walther das Leben und den Kampf Bauers für Gerechtigkeit nachgezeichnet. Der hatte einen hohen Preis: Vier seiner Kinder sind gestorben, und Bauer selbst entging nur um Haaresbreite einem Attentat. 1971 war das. Schwer verletzt wurde er nach Chile geschmuggelt.

Bauers Konterfei erschien damals auf einem Steckbrief der Armee. Als Guerillero mit Kontakten nach Kuba und Moskau wurde er bezeichnet und von der Diktatur zum Abschuss freigegeben. Doch schon zuvor war das Haus der Familie Bauer von Maschinengewehrsalven durchsiebt worden. Nur durch einen Zufall ging nicht das Haus des Rechtsanwalts, sondern jenes der Nachbarn in Flammen auf. Die Schergen der Militärdiktatur hatten die Häuser verwechselt, erinnert sich Carlos Alfonso Bauer, der damals gerade zehn Jahre alt war. Den Sohn des Anwalts haben Stelzner und Walther genauso wie seine Tochter Abigaíl Carrillo Bauer de Hermann dazu bewegen können, vor der Kamera über ihren Vater und die schmerzlichen Erinnerungen zu sprechen.

Als guten Vater haben beide Kinder ihren Vater nicht in Erinnerung. Die Familie lebte in Angst, und selbst als sich die 15-jährige Tochter Yolanda 1969 mit dem Revolver, den ihr Vater von einem Guerillero geschenkt bekam, erschoss, war Bauer nicht dazu zu bewegen, das Land zu verlassen. Die politische Arbeit hat für ihn Vorrang – bis heute.

Seine Augen beginnen zu leuchten, wenn die Kamera ihn bei politischen Veranstaltungen, bei Demonstrationen oder Parteievents einfangen. Konsequent geht der rüstig wirkende Anwalt seinen Weg. Erst im vergangenen Jahr, mitten im Präsidentschaftswahlkampf, trat Bauer aus seiner Partei ANN (Allianz Neue Nation) aus, weil sie Koalitionsverhandlungen mit rechten Parteien aufgenommen hatte. In Guatemalas politischem Establishment ein normaler Vorgang, für den Rechtsanwalt ein indiskutables Vorgehen. Er zog die Konsequenzen.

Der Film, so urteilte die Presse Guatemalas, ist ein Porträt des mittelamerikanischen Landes und seiner Gesellschaft. Gleichzeitig ist er aber auch eine schöne Hommage an den Idealismus eines Dickschädels.

täglich, bis 3.3., 19 Uhr, 3001