: Schwerlich unbeschwert
Kein Kommentar vom Koloss: Hammerwerfer Karsten Kobs scheitert als eine der wenigen deutschen Medaillenhoffnungen bereits in der Qualifikation und legt ein Schweigegelübde ab
aus Paris FRANK KETTERER
Der Schritt war stampfend schwer, die mächtigen Schultern in sich zusammengesackt und die Lippen so fest aufeinander gepresst, dass sie nur noch einen schmalen Strich bildeten. Der sonst so stolze Koloss gab eine traurige Figur ab – und er verweigerte jede Auskunft darüber, warum dem schon wieder so war: „Kein Kommentar“ war das einzige, was der Hammerwerfer Karsten Kobs der auf ihn wartenden Pressemeute zuknurrte. Dann war er auch schon verschwunden. 14 Tage, so drohte er zuvor noch an, soll das selbst auferlegte Schweigegelübde nun andauern.
Was soll er auch sagen, was groß erklären? 75,55 Meter sprechen doch sowieso für sich. So weit hatte Kobs am Samstagmorgen den Hammer gekurbelt. Es stellte sich als zu wenig heraus, viel zu wenig, um die Qualifikation zu überstehen. 16 Kollegen hatten die 7-Kilo-Kugel jedenfalls weiter geschleudert, acht von ihnen werfen heute ab 18 Uhr im Finale den neuen Weltmeister aus.
Dass Karsten Kobs, 198 Zentimeter groß und satte 118 Kilo schwer, dabei wieder einmal zuschauen muss, mag tragische Züge in sich bergen; mindestens ebenso sehr aber lässt es Zweifel aufkommen, ob bei dem Mann aus Leverkusen alles so stimmt – und zwar im Oberstübchen. Der 31-Jährige ist hier in Paris nämlich keinesfalls Erstversager, sondern vielmehr schon dreimal zuvor durch das Kunststück auffällig geworden, zum Saisonhöhepunkt als einer der Medaillenkandidaten angereist zu sein – und dann doch bereits nach der Ausscheidung seine Sachen packen zu müssen. Bei Olympia 2000 in Sydney war das der Fall, bei der EM im Vorjahr im eigenen Land nicht weniger. Und jedes Mal ist für Kobs eine Welt zusammengebrochen. Auch diesmal hat er sich ja große Hoffnungen gemacht. „Ich habe mich selten so gut gefühlt wie jetzt“, hat er vor dem Wettkampf jedenfalls gesagt. Es war ein trügerisches Gefühl.
Wobei man wissen muss, dass Hammerwerfen eine komplizierte Angelegenheit ist, eine der kompliziertesten in der Welt der Leichtathletik überhaupt. Der wirbelnde Tanz zwischen Hacken und Ballen beansprucht nicht nur jede Menge Kraft, sondern ein Höchstmaß an ausgefeilter Technik – und somit an Konzentration und Besonnenheit. An Kraft und somit prinzipiell an Form kann es Kobs in Paris nicht gemangelt haben, schließlich hat er den Hammer im Vorfeld gleich massenhaft in die Nähe der 80-Meter-Marke gejagd, bei 80,83 liegt seine Bestweite diese Saison, damit hätte er die Qualifikation als Bester überstanden. Also muss es an der Konzentration gelegen haben, an der Besonnenheit; ergo: an der Kunst, seine Sinne im entscheidenden Moment beieinander zu halten. „Wenn der Kopf nicht mitspielt, geht gar nichts“, hat Kobs noch zwei Tage vorher geunkt. Am Samstag bekam er dafür die traurige Bestätigung
Das neuerliche Debakel im Stade de France hat es nicht einfacher gemacht für den Sportler Karsten Kobs, seine augenscheinliche Phobie, bei den wirklich wichtigen Wettkämpfen zu versagen, zu lösen; manchmal sei es so schlimm, dass der 31-Jährige von Hautausschlägen befallen wird. Bei der WM vor zwei Jahren in Edmonton setzte ihn eine eitrige Halsentzündung kurzfristig außer Gefecht.
Nach den Ursachen für seine Aussetzer hat er natürlich geforscht, fündig glaubt er mittlerweile auch geworden zu sein. Kobs selbst meint mittlerweile, dass ausgerechnet sein größter Erfolg am Versagen in Serie Schuld trägt – der Gewinn der Weltmeisterschaft 1999 nämlich. Damals war der Leverkusener noch ein ziemlicher Niemand unter all den anderen Kolossen – und wurde Weltmeister. Einfach so, ganz ohne Druck. Locker vom Hocker. So unbeschwert war er nie wieder.
„Lockerheit könnte das Erfolgsrezept sein“, glaubt Kobs mittlerweile, schon vor Paris hatte er sich deshalb vorgenommen, „einfach weniger nachzudenken“ und sich eine „Leck-mich-Einstellung“ anzueignen. Am Samstag, als Karsten Kobs schweren Schrittes hinausstampfte aus dem Stade de France, war davon nichts zu sehen.