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Schwere Unruhen in KeniaOppositionsführer stellt Machtfrage

Durch Wahlbetrug unterlegener Odinga will sich zum Gegenpräsidenten ausrufen lassen, nennt den Präsidenten einen "Militärherrscher" - und ruft zu Massenprotest am Donnerstag auf.

Anhänger des Oppositionsführers verspotten die Polizei im Slum Kibera in Nairobi. Bild: dpa

NAIROBI ap/reuters/afp/taz Bei den Unruhen nach dem Wahlsieg des kenianischen Präsidenten Mwai Kibaki sind bis Montagmittag bereits mehr als 120 Menschen ums Leben gekommen. In den Elendssiedlungen der Hauptstadt Nairobi sowie in anderen Städten wie dem Touristenzentrum Mombasa schossen Polizisten auf Anhänger des unterlegenen Oppositionsführers Raila Odinga.

Odinga kündigte derweil während einer Pressekonferenz "friedliche Massenproteste" an. Die Polizei werde jederzeit über den Stand der Dinge auf dem Laufenden gehalten, sagte er. Am Donnerstag werde es in Nairobis Uhuru-Park eine Kundgebung mit einer Million Menschen geben. Der 62-jährige Politiker hatte ursprünglich für Montag zu einer Kundgebung aufgerufen und angekündigt, sich zum "Volkspräsidenten" zu erklären. Die Polizei verbot die Versammlung und drohte mit der Festnahme Odingas.

Odinga bezeichnete Präsident Kibaki am Montag als einen "Militärherrscher", der nur noch mit der Gewalt der Gewehre regiere. Zur Demonstration in Nairobi sollten alle Teilnehmer mit einem schwarzen Armband erscheinen. Odinga verglich die Situation mit der Lage der Elfenbeinküste im Jahr 2002 - das bis dahin exemplarisch stabile Land wurde damals durch einen Militärputsch in einen Bürgerkrieg gerissen.

Odingas Partei Orange Democratic Movement (ODM) rief die Bevölkerung in einer Erklärung vom Sonntagabend auf, das offizielle Wahlergebnis nicht anzuerkennen. Das Wahlergebnis wurde nachweislich gefälscht (siehe "Mehr zum Thema"). Ungeachtet der Kritik war Kibaki weniger als eine Stunde nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses für eine weitere Amtszeit vereidigt worden. In seiner Antrittsrede rief er "alle Kenianer auf, das Urteil des Volkes anzuerkennen". Die Regierung verhängte eine Nachrichtensperre. Allen Rundfunk- und Fernsehsendern wurde die Ausstrahlung von Live-Berichten verboten.

Die militärisch anmutenden kenianischen Polizisten verprügeln einen am Boden sitzenden Protestierer im Slum Kibera. Bild: ap

Minuten nach der Vereidigung eskalierte die Gewalt in den Slum-Siedlungen von Nairobi. "Wir sind ausgebootet worden, wir werden die Niederlage nicht akzeptieren", sagte am Montag der 24-jährige James Onyango in der Slum-Siedlung Kibera. "Wir sind bereit zu sterben, und wir sind bereit zu töten."

Nach Angaben eines ranghohen Polizeioffiziers handelt es sich bei den Toten in Nairobi mehrheitlich um junge Männer, die bei Zusammenstößen mit der Polizei erschossen wurden. In Kisumu berichtete ein Mitarbeiter der Leichenhalle rund 50 Toten, die in der Nacht von der Polizei eingeliefert worden seien. Rund 20 Leichen hätten mehrere Schusswunden aufgewiesen. Über die drittgrößte kenianische Stadt wurde eine zwölfstündige Ausgangssperre verhängt.

Schwerpunkte der Unruhen sind die Elendssiedlungen der Hauptstadt Nairobi, die 300 Kilometer nordwestlich gelegene Stadt Kisumi und die Küstenstadt Mombasa, wo sich zahlreiche Touristenhotels befinden. In Nairobi schossen Bereitschaftspolizisten mit Tränengas in Häuser und Geschäfte. In einem Fall liefen daraufhin eine Frau und ihre vier kleinen Kinder verzweifelt aus dem Gebäude. "Wir wollten uns doch nur vor der Schießerei verstecken", sagte sie, während sie die Augen ihres sechs Monate alten Sohnes Daniel mit Wasser spülte.

Andere Bewohner klagten darüber, dass keine Nahrungsmittel mehr aufzutreiben seien. Die meisten Geschäfte sind seit dem Wahltag am vergangenen Donnerstag geschlossen. In der Küstenstadt Mombasa plünderten Aufständische Geschäfte mit dem Ruf "Kein Raila, kein Frieden!"

Mehrere hohe Polizeioffiziere erklärten unabhängig voneinander in Nairobi, sie hätten den Befehl bekommen, mit Tötungsabsicht zu schießen. Dies führte offenbar zu Spannungen innerhalb der Polizei, da viele Beamte mit der Opposition sympathisieren. Ein Regierungssprecher dementierte, dass es einen Schießbefehl mit Tötungsabsicht gebe.

Die Anhänger des 62-jährigen Odinga hatten nicht nur auf einen Generationenwechsel an der Macht gehofft. Sie gehören zudem mehrheitlich dem Stamm der Luo an, der Kibakis Stamm der Kikuyu vorwirft, die Wirtschaft des zuletzt als Vorzeigeland Afrikas geltenden Kenias zu dominieren.

Angesichts der Sicherheitslage strich der Reiseveranstalter TUI sein Programm in Kenia zusammen. Für Badeurlauber wurden Tagesausflüge in Kenia abgesagt, wie ein TUI-Sprecher sagte. Safaris liefen weiter, Nairobi werde aber zunächst nicht mehr angesteuert. "Wir beobachten die Lage sehr genau". TUI wolle bis Dienstag warten, um weitere Entscheidungen zu treffen; dann stünden die nächsten An- und Abreisen für Kenia an.

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2 Kommentare

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  • WL
    Wolfgang Lieberknecht

    Es ist falsch einfach von Kibaki als Vertreter der Kikuyu zu sprechen. Allerhöchstens von Teilen von deren Elite. Und das Entstehen hat diese Elite viel der Zusammenarbeit mit der früheren Kolonialmacht England zu tun. Die Kikuyu, die sich im Mau-Mau-Aufstand gegen Landenteignungen zugunsten europäischer Siedler und für Mitsprache nicht am Kampf gegen die Kolonialmacht England beteiligten, sondern sich gegenüber der Kolonialmacht wohl verhielten wurden mit attraktiven Verwaltungsposten und mit Landzuweisungen belohnt, die auch nach der Unabhängigkeit Kenias 1963 Bestand hatten. Die meisten Angehörigen des Volks der Kikuyu, das vor allem den als MAU-Mau-Aufstand bekannten Kampf für Unabhängigkeit in den 50er Jahren trugen, wurden von England mit brutalster Grausamkeit unterdrückt, gefoltert, gehängt, interniert, enteignet. Die englische Autorin, Caroline Elkins, die im Buch ?Britans Gulag? gerade kürzlich das Thema wieder in England in die Öffentlichkeit gebracht hat, spricht von einer waren Orgie der Gewalt. Auch wenn die zeitgenössische Presse meist nur die Massaker an europäischen Siedlern grell beleuchtete - von ihnen starben 32 ? waren die meisten Opfer der Kämpfe Kikuyus. Schätzungsweise 20.000 Rebellen fanden den Tod, 70.000 Afrikaner wurden unter katastrophalen Bedingungen von England in Lager interniert, und 1090 Kikuyu wurden gehängt, so viele Menschen wie in keinem anderen Dekolonisationskonflikt des Britischen Empire. Gerade die hier sichtbare historische Verantwortung Europas, die in England zu einer lebhaften Debatte über das angeblich ?glorreiche Empire? geführt hat, sollte die Europäer nun zum Handel veranlassen: Europa muss dem selbsternannten Präsidenten Kibaki klarmachen, dass es dieses Ergebnis nicht akzeptiert und nicht nachgibt, bevor ein beweisbares Ergebnis ermittelt ist. Das Verhalten der USA, die die offensichtlich gefälschte Wahl sofort anerkannt haben, ist für jeden Demokraten einmal mehr beschämend. Wird hier nicht wie damals nur derjenige belohnt, der westlichen Interessen dient und sich dafür sogar gegen die eigenen afrikanischen Landsleute wendet? Das sollte man aber wie damals nicht ?den Kikuyu? vorwerfen.

    Wolfgang Lieberknecht, Blackandwhite-schwarzundweiss.de.

  • WL
    Wolfgang Lieberknecht

    Deutschland sollte sofort eine Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrates beantragen und dort die Neuauszählung der Stimmen unter internationaler Kontrolle beantragen. Falls sich die kenianische Regierung weigert, soll ein Wirtschaftsboykott beschlossen werden. Die Kenianer haben so diszipliniert am Wahlprozess teilgenommen. Bei den dann folgenden Unregelmäßigkeiten war es klar, dass es vor allem angesichts der noch immer ethnischen Gegensätze Gewalt geben wird. Odinga hatte gerade die katastrophale soziale Lage von Millionen Kenianern, die vielfach keinen Zugang nicht mal zu sauberem Wasser und Nahrungsmitteln haben, zum Thema gemacht und damit die ethnischen Differenzen die in der Vergangenheit ein größeres Gewicht hatten, überwinden helfen. Doch ein Teil der reichen Elite zeigt mit der Wahlmanipulation und polizeilicher Gewalt, dass er dieses Votum für einen dringend nötigen sozialen Reformprozess nicht anerkennt. Damit dürfen sie nicht durchkommen. Die Manipulationen des Wahlergebnisses waren so offensichtlich, dass es eine Katastrophe wäre für die Demokratisierung Afrikas, wenn das Ergebnis bestand hat. Und für die Überwindung vor Armut auf demokratischem Weg. Gerade die Bundeskanzlerin die mit starken Worten beim EU-Afrikagipfel für Demokratie geworben hat, sehe ich in der Pflicht. Deutschland sollte sofort eine Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrates beantragen, um Kenias Regierung zu zwingen, die Wahlergebnisse transparent zu machen und im Zweifel neu auszählen oder auch abstimmen zu lassen und so den Menschen eine friedliche Perspektive zu geben. Sollte Kibaki mit dem Ergebnis davonkommen, ist das für die Demokratisierung in Afrika und Kenia katastrophal. Die USA zerstören erneut mit der Anerkennung des manipulierten Wahlergebnisses die Glaubwürdigkeit der Demokratien.

    Grüße, Wolfgang Lieberknecht, Black&White