Schweizer Journalismus-Startup: Das Vertrauen maximieren

Wenn Leser*innen zu Verleger*innen werden, was macht das mit dem Journalismus? Das schweizer Projekt „Republik“ probiert es aus.

Bild: Monja Gentschow

von CHRISTOF MOSER

Während ich an diesem Text schreibe, spült mir Facebook einen eigenen Eintrag von vor zwei Jahren („Deine Erinnerungen anzeigen“) auf meinen Bildschirm. Eine Recherche, wie bei den Gratiszeitungen der großen Schweizer Verlage und ihren Online-Portalen systematisch journalistische Standards wie die Zwei-Quellen-Regel missachtet werden. Unter dem Titel „Mit Vollgas in die Vertrauenskrise“ folgendes Fazit: „Journalisten müssen damit beginnen, den Journalismus gegen seine Gegner zu verteidigen. Zu denen gehören inzwischen auch die Medienkonzerne, bei denen sie heute noch angestellt sind. Sobald sie das tun, klappt’s auch wieder mit dem Publikum – vielleicht.“

Jahrgang 1979, war ab 2000 einer der ersten Onlinejournalisten der Schweiz. Daneben unterrichtet er Journalismus, Storytelling und Medienethik. Seit Anfang 2017 ist er bei Projekt R.

In dieser Textpassage sind eine folgenreiche Beobachtung und eine vage Hoffnung enthalten. Beide haben die Entwicklung und den Bauplan von „Project R“ und Republik entscheidend beeinflusst. Die Beobachtung ist folgende: Die Logik des Mediensystems höhlt den Journalismus von innen heraus aus. Ergo: Wer etwas dagegen unternehmen will, muss raus aus dieser Logik, konsequent. Die Hoffnung, eher als Behauptung vorgetragen: dass das Publikum bei der Rebellion gegen die Medienkonzerne und für den Journalismus mitmacht.

Zwei Jahre und vier Wochen später lässt sich sagen: Ja, das tut es. Der Ticker für das „Projekt R“ steht bei über 12.000 Mitgliedern und über 3 Mil­lionen Franken (rund 2,7 Millionen Euro). Das Crowdfunding-Minimalziel hatten wir nach 7 Stunden und 49 Minuten erreicht. Und die Kampagne läuft noch bis Ende Mai. Mit diesem überwältigenden Erfolg hat niemand gerechnet. Schon gar nicht wir von der zehnköpfigen Aufbaucrew der Republik.

Es ist ja nicht so, dass wir die Welt völlig neu erfunden hätten. Ein neues Medium per Crowdfunding starten? Der holländische De Correspondent hat es 2013 vorgemacht (sehr erfolgreich), die Krautreporter 2014 in Deutschland (etwas weniger erfolgreich).

Mit den Lesenden auf Augenhöhe

Viele kleinere Projekte sind gefolgt. Eine Genossenschaft als Fundament? Hat die Schweizer Wochenzeitung WoZ seit 1981, und bei euch in der taz sind Genossenschafter seit 1992 Miteigentümer*innen. Die taz hat sich an die Leser*in­nen verkauft, nicht an einen Verlag. Bingo. Gratulation zum Wachstum, übrigens! Und eigentlich habt ihr ja auch das Crowdfunding erfunden. 7.000 Vorbestellungen für ein Abonnement brauchte die taz 1979, bis sie an den Start ging. Wir brauchten 3.000.

Mit den Lesenden auf Augenhöhe sein: das schaffen viele Redaktionen in Medienkonzernen nur mit Ach und Murks, wenn überhaupt. De Correspondent kann das, es ist in seiner DNA. Das Publikum als Mitbesitzerin einzubinden: das ist die nächste Stufe, braucht Haltung und schafft Vertrauen – und beides ist sehr gefragte Ware, gerade auch im Onlinejournalismus. Womöglich ist das wirklich das ganz banale Erfolgsgeheimnis leser*innenfinanzierter Medien: Sie maximieren nicht Reichweite, sondern eben – Vertrauen.

Bild: Monja Gentschow

Wir haben mit Project R die Welt nicht neu erfunden. Wir nutzen die Interaktivität und damit den technischen Spielraum im Digitalen nur konsequent – von der Kampagne bis zum Geschäftsmodell. Unsere Abonnent*innen, die Mitglieder der Project R Genossenschaft, bezeichnen wir als „unsere Verleger“. Das hat gute und schlechte Seiten, für sie und für uns. Zur guten Seite für die Verleger*innen gehört ihre Einbindung in verlegerische Entscheidungen.

Gerade jetzt können sie zwischen Satire, Datenjournalismus und Deutschlandkorrespondent als Ausbauschritt für das letzte Crowdfunding-Ziel entscheiden. Gut für uns als Macher*innen sind die hohe Beteili­gung – an der laufenden Abstimmung haben innerhalb weniger Stunden über 20 Prozent aller Mitglieder teilgenommen – und die Erkenntnisse, die wir daraus gewinnen. Daten über unser Publikum, die wir ausschließlich für die Weiterentwicklung des Produkts nutzen und nicht an die Werbeindustrie verkaufen. Allein dieses Versprechen hat viele von einem Investment in der Höhe von 240 Franken (rund 220 Euro) überzeugt, überdurchschnittlich viele Jüngere.

Die Mitglieder als Verleger*innen

Selbstverständlich birgt die Publikumsverleger-Strategie auch Risiken. Wie bei jedem leser*in­nenfinanzierten Medium besteht ganz grundsätzlich die Gefahr, der Leser*innenschaft nach dem Mund zu schreiben. Richtig und wichtig ist: Eine Redaktion muss ihr Publikum nicht nur begeistern, sondern auch verärgern dürfen. Doch selbst im Normalbetrieb ohne Konflikt investiert die Crew von De Correspondent rund 50 Prozent der Arbeitszeit in den Dialog mit dem Publikum. Das ist sehr viel. Die größte Gefahr von Augenhöhe und Einbindung ist die Tatsache, dass Leser*innen ein Medium genauso lahmlegen können wie eine aggressive Firmenanwältin, die uns mit Klagen eindeckt.

Andererseits hilft genau da die Einbindung des Publikums als Mitbesitzer oder eben Verleger: Wer die Redaktion lahmlegt, schadet sich selbst. In der alltäglichen Kommunikation sehen wir das Verleger*innensein unserer Mitglieder vor allem als Chance. Gute Ideen der Verlegenden nimmt die Redaktion auf, schlechte Ideen verschwinden in der Schublade.

Wenn wir es schaffen, das Verleger*innensein des Publikums zu einem Handlungsrahmen zu machen, der das Verhältnis zwischen uns als Ma­cher*in­nen und dem Publikum vernünftig regelt, dann wäre das ein neues, einzigartiges Modell und tatsächlich eine Innovation. Daran arbeiten wir in den nächsten Jahren. Die ersten Erfahrungen sind sehr positiv: Der Austausch ist bisher von Ernsthaftigkeit und gegenseitigem Respekt geprägt.

Vertrauen gegen Vertrauen

Die Strategie fußt ja letztlich auf einem einfachen Prinzip: Wer Vertrauen schenkt, erhält Vertrauen. So wie bei taz.zahl ich können während des Crowdfundings auch unsere Abonnent*in­nen die Höhe ihres Abonnementsbeitrags selber bestimmen. Missbraucht hat das von über 12.000 Menschen niemand. Die durchschnittliche Zahlung liegt rund 10 Franken (rund 9 Euro) über dem regulären Abonnementspreis von 240 Franken.

Auf diesem gegenseitigen Vertrauen bauen wir auf. Trotz der geplanten harten Paywall ab unserem Start Anfang 2018 werden die Abonnent*innen großzügig sein und unsere Texte mit ihren Freund*innen frei teilen können. Ebenso denken wir an Micropayment-Lösungen herum, die es ermöglichen, journalistische Beiträge einzeln zu bezahlen.

Wir werden in der nächsten Zeit viele neue Erfahrungen machen für den Umgang zwischen Publikum und Journalist*innen. Und, das ist auch eine gute Nachricht für alle, wir werden sie teilen.