Schweinkram etc.: Null Beule, oder?
■ Jürgen von der Lippe, „König der Unterhosen“ bürgerlicher Kabarettanstalten
Er kommt wie ein Helikopter. Erst leise säuselnd, dann im dröhnenden Stakkato – und dann ist da plötzlich diese obszöne Stille.
Da steht sie nun, die Potenz auf zwei Beinen, der Zuchtbulle im Hawaiihemdchen. Verheißungsvoll suhlt sich Jürgen von der Lippe im Auftaktapplaus. Das wird wieder eine Nacht nach seinem Geschmack: zotig im Vorspiel, analfixiert, wenn es zur Sache geht, und am Ende wahnsinnig komisch.
„Statistisch gesehen“, bringt er uns langsam auf Touren, „tragen von 1.000 Frauen 234 kein Höschen.“ Und schon greift der Voyeur mit dem Studienratsbärtchen zu seiner ersten erotischen Geheimwaffe: Mit einer langen Stabtaschenlampe leuchtet er genüßlich jede einzelne Zuschauerin aus: „Sie vielleicht? Oder Sie?“ Da müssen die derart abrupt aus der Anonymität gerissenen Damen unweigerlich erst einmal lachen. Noch schlagen sie sich eine Hand tugendhaft vor den rot angemalten Mund und ihre Beine sittsam übereinander. Bei den Männern geht alles viel fixer. Feist hauen sie sich schon nach fünf Minuten auf die heißer werdenen Schenkel, erste Schweißtropfen des Vergnügens sammeln sich auf den gelichteten Stirnen. Was sie hier gegen billiges Eintrittsgeld geboten bekommen, hat bestes Pubertätsniveau. So was erzählten sich die Halbglatzenträger früher gerne beim Wettpinkeln an der Schulhofswand oder in den Duschkabinen des Sportvereins. Dort eben, wo die Schwanzlänge mehr zählt als jede Tordifferenz. Fast schon hatten sie vergessen, wie lustig das sein kann, wenn alle Schamgrenzen gefallen sind, und man sich im Halbdunkel zusammentut, um sich gemeinsam genüßlich einen runterzuholen.
Ob wir auch gelegentlich in diese Kaufhauskataloge gucken, fragt Jürgen von der Lippe, der weiß, was in der Liebe ankommt, sein langsam auftauendes Publikum. Besonders die Unterhosenmodels haben es ihm angetan: „Die haben doch null Beule, oder?“ Stehen da, posieren für den Feinrippschlüpfer und haben nix in der Hose. „Also ich würde mich doch nicht vor ein Millionenpublikum stellen, so ohne jede Beule, und dann auch noch grinsen!“ Das will man ihm gerne glauben, fallen ihm doch seine Hawaiihemden selbst immer schamhaft über den Schritt. Immerhin zeigt uns der Meister des kabarettistischen Quick-Ficks mit Mannesstolz seine feiste Wampe: „Hoho!“ raunt es da aufmüpfig aus Reihe vier, wo der Entertainer schon längst einen renitenten Herrn ausgemacht hat, der sich der Strategie des Abends immer noch aufs prüdeste verweigert. Er wird es ihm heimzahlen: „Ja, was glauben sie denn?“ schnauzt er ins Parkett, wo ihm die Menge mittlerweile willig an den Lippen hängt, „das ist alles Preßluft für meinen Hammer.“
Nicht alle Damen begreifen sofort, worüber ihre Männer da prustend (und vielleicht auch ein wenig neidisch?) grölen. Und welche Haushaltsschülerin weiß schon, daß „Salzstreuer“ eine korrekte Bezeichnung für das männliche Geschlecht ist? Trotzdem läßt sich hier niemand mehr die zotige Laune verderben, schrill kieksen jetzt auch die feschen Blondinen (ohne Höschen?), etwas gutturaler kommt es den Mittvierzigern, die dem Herrn von der Lippe seit „Geld oder Liebe“ via Bildschirm offenbar völlig verfallen sind.
In immer schnellerem Rhythmus nimmt der Abend seinen gut getimten Lauf, gnadenlos werden wir auf den kollektiven Höhepunkt eingestimmt. Hinten auf den billigen Plätzen können sie sich jetzt kaum noch halten, unfreiwillig geht plötzlich dem jungen Bodybuilder im Jeanshemd ein Lacher ab, ohne die Pointe abzuwarten. „Haben Sie gerade eine Erektion gehabt, oder warum spielen sie sich so in den Vordergrund?“ blafft unser Zoten-Stripper den armen Kerl gnadenlos an. Da fällt schon die nächste Frauenstimme in rythmisches Kreischen. Tränen laufen über lachverzerrte Gesichter, jetzt kann es nicht mehr lange dauern, bis es endlich wirklich abgeht.
Ein letztes kleines Intermezzo legt der König der Unterhosen noch ein, dann kommt es endlich zum Äußersten: „Mitten auf der Ringermatte“, säuselt er scheinheilig ins Mikrofon, „kriegt der Ringer eine ...“
„Latte“, ergänzen die Damen und Herren auf den besseren Plätzen ermattet. Und endlich hat Jürgen von der Lippe uns da, wo er uns haben will. Spät, aber dennoch, ist das Publikum gekommen: Jetzt haben wir ausgesprochen, was er nur gedacht hat. Phone-Sex ist nichts dagegen. Klaudia Brunst
Jürgen von der Lippe: „König der City“: Bis zum 27. Juni täglich im Berliner Kabarett-Theater „Wühlmäuse“
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