Schwarz-grüne Koalitionsverhandlungen: Geräuschlos ins Neuland
Disziplin und Konzentration: Je größer das allgemeine Interesse ist, desto unaufgeregter arbeiten CDU und Grüne in Hamburg auf eine mögliche Koalition hin.
HAMBURG dpa Zumindest unter Journalisten setzen die künftigen schwarz-grünen Koalitionäre in Hamburg bereits vor dem endgültigen Verhandlungserfolg Maßstäbe. Die Delegationen arbeiten so diszipliniert und konzentriert, dass es den Beobachtern angesichts des Mangels an Neuigkeiten und Indiskretionen an Stoff für Geschichten mangelt. "Es gibt nichts wirklich Neues", ist ein häufig gehörter Satz der Hörfunk- und Fernsehkorrespondenten, die zwischen Hotel "Grand Elysee" und Goethe-Institut, den beiden alternierenden Verhandlungsorten, auf politische Nachrichten warten.
Obwohl Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und Christa Goetsch, Fraktionschefin der Grün-Alternativen Liste (GAL) an diesem Mittwoch unisono und optimistisch von entscheidenden Kompromissen sprechen, die bei Streitfragen wie der Elbvertiefung oder dem Kohlekraftwerk im Stadtteil Moorburg gefunden werden sollen, werden sich Reporter und Öffentlichkeit am Abend wohl wieder mit spärlichen Informationen abfinden müssen. "Ich will die Erwartungen, was die Verkündung der Ergebnisse angeht, nicht hochschrauben", sagt Beust am Morgen und steigt in den Aufzug, der ihn in den Verhandlungsraum bringt.
Gerade weil die Emissäre beider Parteien wissen, dass Sie mit der Konstruktion der ersten schwarz-grünen Koalition auf Länderebene politisches Neuland betreten und sie aufmerksam aus ganz Deutschland beobachtet werden, haben sie sich weitgehendes Schweigen verordnet. Am Dienstagnachmittag erschienen Grünen-Landeschefin Anja Hajduk, der CDU-Landesvorsitzende Michael Freytag, Goetsch und Beust mit ernsten Minen zu ihren täglichen Kurzstatements. Kaum hatte der Bürgermeister angekündigt, die Öffentlichkeit werde am kommenden Donnerstag, 17. April, informiert und er erwarte wesentliche Lösungen für diesen Mittwoch, waren nach gerade mal zwei Minuten alle vier wieder verschwunden.
Ein paar Informationen über das schwarz-grüne Regierungsprogramm gibt es immerhin. So will Hamburg seine Anstrengungen beim Wohnungsbau auf bis zu 6.000 Einheiten im Jahr verdoppeln. Die vorschulische Betreuung von Kindern ab zwei Jahren soll ausgebaut, Schulkinder sollen länger gemeinsam unterrichtet werden. Es bleibt bei einer neuverschuldungsfreien Finanzpolitik. Die gerade eingeführten Studiengebühren von 500 Euro pro Semester werden auf 375 Euro je Halbjahr reduziert und müssen künftig erst bezahlt werden, wenn ein Student ein Jahreseinkommen von mindestens 30.000 Euro erzielt.
Lösungen werden noch gebraucht für die schwierigen Fragen der Energieversorgung und der Verkehrsentwicklung. Hier machen nicht nur Umweltverbände den Grünen Druck, ihre Positionen durchzusetzen. Hier setzen sich auch die Unternehmer der Stadt bei der CDU massiv für ihre Interessen ein. Weil die Erwartungshaltung in diesen Bereichen so groß ist, sind Kompromisse so schwierig - zumal sie dann auch noch von der Basis beider Parteien gebilligt werden müssen. Beust, Hajduk und den anderen muss gelingen, was sie "gesichtswahrend über den eigenen Schatten springen" nennen.
Das Personal soll, wie immer bei Koalitionsverhandlungen, zuletzt besprochen werden. Klar scheint aber, dass Goetsch und Hajduk, denen die CDU-Führung sichtbar Respekt entgegenbringt, für Ressorts wie Schule oder Umwelt in Frage kommen. Für die CDU wird neben Beust allen Berichten zufolge wieder Freytag am Senatstisch Platz nehmen. Der parteilose Innensenator Udo Nagel gilt ebenso als sichere Bank wie Kultursenatorin Karin von Welck. Wirtschaftssenator Gunnar Uldall scheidet auf eigenen Wunsch aus, ihn könnte der bisherige Umweltsenator Axel Gedaschko beerben.
Die SPD muss derweil dabei zusehen, wie ihr Wunschkoalitionspartner GAL eine neue Verbindung eingeht, mit möglicherweise strategischen Folgen für ganz Deutschland. Landeschef Ingo Egloff macht aus seiner Meinung darüber keinen Hehl: Man werde jetzt erleben, schreibt er in einem Beitrag für Die Welt, "dass die 'Koalition der Kreativen' wechselseitig alle ihre Prinzipien über Bord wirft". Die SPD sei bereit, eine große Koalition einzugehen zum Wohle der Stadt, so Egloff weiter - "das wäre vielleicht langweilig aber glaubwürdig".
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