Schwarz-Gelb ringt um Steuerpolitik: Der Fluch des Wahlversprechens
Bei keinem Thema vollführte die Kanzlerin einen solchen Schlingerkurs wie bei den Steuersenkungen. Jetzt muss sie das Dilemma lösen und das Gesicht der FDP wahren.
Einige in der künftigen Koalition haben ein symbolisches Opfer schon auserkoren. Auf die Errichtung eines Mehrzweckgebäudes mit historischer Schlossfassade in der Mitte Berlins könne womöglich verzichtet werden, verlautete aus Verhandlerkreisen. 552 Millionen Euro ließen sich dadurch einsparen. Der Betrag würde zwar gerade mal reichen, um zwei Jahre lang die beschlossene Erhöhung des Schonvermögens für Hartz-IV-Empfänger zu finanzieren, es wäre aber ein Zeichen - dafür, dass es die Koalition ernst meint mit dem Sparen und dass sie dabei vor allem Luxusprojekte ins Visier nimmt.
Viel weiter sind CDU, FDP und CSU allerdings noch nicht gekommen mit ihrem Versuch, die versprochenen Steuersenkungen mit den Realitäten des Haushalts zu harmonisieren. Acht Stunden hatten sie in der Nacht zu Donnerstag verhandelt. Es war bereits nach zwei Uhr früh, als die Unterhändler die hessische Landesvertretung in den Berliner Ministergärten verließen.
Bevor die große Koalitionsrunde an diesem Freitagnachmittag zu ihrem dreitägigen Schlussmarathon zusammenkommt, wird sich deshalb die Arbeitsgruppe Finanzen ein weiteres Mal zusammensetzen. Gastgeber ist wiederum der hessische Ministerpräsident Roland Koch, der bereits zu Zeiten der großen Koalition mit dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) eine Sparliste erarbeitet hatte. Trotz der Inspiration des Ortes wird allerdings damit gerechnet, dass eine Einigung erst in der großen Runde zustande kommt. Das verlangt schon die Dramaturgie. Schließlich müssen beide Seiten beweisen, dass sie für ihre Prinzipien bis zuletzt gekämpft haben.
Bei keinem Thema hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen derartigen Schlingerkurs vorgeführt wie im Streit über Steuersenkungen. Erst lehnte sie niedrigere Tarife strikt ab und brachte die eigene Partei brachial auf diesen Kurs, dann zog sie mit einer wenn auch vagen Entlastungsforderung in den Wahlkampf. Zum Auftakt der Koalitionsverhandlungen wiederum entdeckte ihr Kanzleramtsminister Thomas de Maizière überraschend ein Etatloch von 40 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren. Die Botschaft: Viel Spielraum für Steuersenkungen gibt es nicht.
Das kann sich die FDP kaum bieten lassen, schließlich gilt sie trotz aller Bemühungen um thematische Diversifizierung bei der eigenen Klientel vor allem als Steuersenkungspartei. Trotzdem wird sich ihr Stufentarif - 10, 25, 35 Prozent - in der Koalitionsvereinbarung bestenfalls als vage Absichtserklärung wiederfinden. Schließlich kostet das Modell den Staat rund 35 Milliarden Euro. Außerdem hat es fatale Ähnlichkeit mit den Ideen des Steuerrechtlers Paul Kirchhof, mit denen die Union im Wahlkampf 2005 Schiffbruch erlitt.
Bedenken gibt es in der CDU inzwischen auch gegen eine Erhöhung des steuerlichen Kinderfreibetrags von 6.024 auf 8.004 Euro und die damit verbundene Erhöhung des Kindergelds um 200 Euro. Rund 10 Milliarden Euro würde diese Variante kosten. Günstiger käme ein Abbau der kalten Progression, also die Anpassung des Steuertarifs an die jährlichen Gehaltssteigerungen. Wegen der Krise werden die Gewerkschaften in den nächsten Jahren allenfalls sparsame Tariferhöhungen aushandeln. Der Staat würde auf Einnahmen verzichten, die aller Voraussicht nach ohnehin ausbleiben.
Als sicher gelten bislang nur kleinere Korrekturen bei der Unternehmens- und Erbschaftsteuer. So sollen Familienbetriebe auch dann steuerfrei vererbt werden können, wenn die Zahl der Beschäftigten in den Folgejahren sinkt.
Unterschiedlich interpretiert wird in Koalitionskreisen die Wachstumsprognose der Wirtschaftsinstitute, die am Donnerstag deutlich günstiger ausfiel als zunächst erwartet. "Vor diesem Hintergrund eröffnet sich auch der eine oder andere Spielraum", sagte Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der der Steuersenkungspartei CSU angehört. Die Wirtschaftsforscher selbst warnten jedoch vor übereilten Steuersenkungen. "Es kann nicht sein, übers Wochenende ein paar Wohltaten zu verteilen", sagte Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft.
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