: Schutz vor Ungleichbehandlung
Vor zweieinhalb Jahren wurde das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eingeführt. Beratungsstellen begrüßen das Gesetz als ein erstes handhabbares Instrument gegen Diskriminierung. Doch viele Betroffene scheuen vor einer Klage zurück
Das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (ADNB) ist eine unabhängige, kostenlose Beratungsstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskrimi-nierung, vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund und „People of Color“. Beratungen: Di. 15 bis 17 Uhr und Do. 10 bis 12 Uhr oder nach tel. Vereinbarung (Bei Bedarf auch in einer anderen Sprache). Kontakt: ADNB, Tempelhofer Ufer 21, 10963 Berlin. www.adnb.de, Mail: adnb@tbb-berlin.de, Tel.: 61 30 53 28, Fax: 61 30 43 10. Die Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung arbeitet auf der Basis des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und koordiniert die Antidiskriminierungsarbeit des Senats. Zu ihren Aufgaben gehört es, Betroffene zu informieren und ihnen Mut zu machen, sich bei Diskriminierungen zu wehren. Dazu vermittelt die Landesstelle auch Beratungsangebote. Kontakt: Antidiskriminierungsstelle , Oranienstr. 106, 10969 Berlin. www.berlin.de/lb/ads; Mail: antidiskriminierungsstelle@senias.berlin.de, Tel. 90 28-27 26/ -27 08/ -17 67/ -18 76/ -17 91.
VON MARKUS WILD
Ömür (Name geändert) wollte sich auf einen Ausbildungsplatz als Kaufmann im Einzelhandel bewerben und hatte die erste Hürde bereits genommen: Nachdem der 17-jährige Deutschtürke einen schriftlichen Test bestanden hatte, teilte man ihm mit, er würde zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch geladen.
Kurz darauf erhält er überraschenderweise eine schriftliche Absage. Auf seine telefonische Nachfrage hin werden ihm zunächst keine Gründe genannt. Erst nach mehreren beharrlichen Anrufen fragt man ihn, ob er sich die Begründung nicht selbst vorstellen könnte. Das Einzige, was Ömür dazu einfällt, ist, dass er der einzige Bewerber war, der sichtbar nichtdeutsch aussah. Zu seinem Einwand, man könne Menschen doch nicht nach solch äußeren Kriterien beurteilen, wird ihm am Telefon mitgeteilt: „Doch, das kann man. Wir machen das so.“
Ömür wandte sich an das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (ADNB) und bat um Hilfe. Das ADNB riet ihm, nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gegen den Arbeitgeber zu klagen. Am Ende entschied sich Ömür aber gegen den Gang vors Gericht – zum einen aus Angst, er könne danach gar keinen Ausbildungsplatz mehr bekommen, zum anderen aus einem Gefühl der Resignation heraus.
Der Fall Ömür ist nicht untypisch: Vor zweieinhalb Jahren wurde das AGG eingeführt, um Menschen vor Diskriminierungen wegen Behinderung, der ethnischen Herkunft, des Alters, des Geschlechts, der Religion und der sexuellen Orientierung zu schützen. Doch viele Betroffene scheuen sich bis heute, vor Gericht zu ziehen. Trotzdem sei das AGG ein erstes handhabbares Instrument, um sich gegen eine persönliche Ungleichbehandlung zur Wehr zu setzen, heißt es von den Antidiskriminierungs-Beratungsstellen.
„Das AGG hilft nicht nur den Betroffenen, sondern ist auch sinnvoll, um die Gesellschaft gegen Diskriminierungen zu sensibilisieren“, sagt Nuran Yigit, die Leiterin des ADNB. Schon der jahrelange Kampf um das AGG habe gezeigt, dass es Deutschland an einer ausgeprägten „Kultur der Antidiskriminierung“ fehle, so Yigit.
Die Europäische Union hatte bereits im Jahr 2000 vier Gleichberechtigungs-Richtlinien verabschiedet. Doch es dauerte bis zum Jahr 2006, bis eine Umsetzung in nationales Recht stattfand. Unterschiedlichste Gruppen – von Wirtschaftsverbänden bis zu Teilen der Unionsfraktion – hatten gegen das Gesetz mobil gemacht, weil sie befürchteten, dass es zu einer Prozesslawine kommen würde. Das seien überzogene Befürchtungen, so Yigit, allein schon, weil der Kreis der potenziell Betroffenen überschaubar sei: „Es gab aber keine Klagewelle, und es wird sie auch nicht geben“, ist sie sich sicher.
Yigits Einschätzung wird von den Zahlen der vom Berliner Senat eingerichteten „Landesstelle für Gleichbehandlung“ gestützt: Im ersten Halbjahr 2008 sind über die Beratungsstellen verschiedener Träger 170 mögliche Diskriminierungsfälle bekannt geworden, von denen lediglich 37 das AGG betrafen. Bei rund einem Drittel hat die ethnische Herkunft eine Rolle gespielt.
Für Menschen mit Migrationshintergrund und „People of Colour“ ist das ADNB in Berlin die erste Anlaufstelle. Es gibt aber auch noch weitere Berliner Beratungsstellen, an die sich andere Diskriminierungs-Opfer wenden können (siehe Kasten). Beim ADNB erfolgt eine Beratung in der Regel in vier Schritten: Zunächst werde der Betroffene über das AGG aufgeklärt und dann überprüft, ob der konkrete Fall tatsächlich unter das Gesetz falle. Im dritten Schritt wird über den möglichen finanziellen Aufwand informiert. Und erst dann schaue man, ob der Betroffene auch „emotional in der Verfassung“ sei, den Aufwand eines Gerichtsverfahrens „durchzustehen“. Denn Diskriminierungen können schwer verletzen, egal ob sie gewalttätiger oder subtiler Natur waren.
Aber vor Gericht zu ziehen, ist laut Yigit ohnehin nur die letzte Möglichkeit, Recht zu bekommen. „Häufig kann ein Diskriminierungsfall schon beigelegt werden, wenn es ein Klärungsgespräch der Beteiligten gibt.“ Manchmal wirkt auch ein Beschwerdeschreiben einer der Beratungsstellen Wunder und die andere Seite lenkt doch noch ein.
Betroffene vor Gericht vertreten dürfen die Beratungsstellen sowieso nicht. Der Mangel eines Verbandsklagerechts ist neben der häufig schwierigen Beweisführung für die vermeintlich Diskriminierten daher auch einer der Hauptkritikpunkte des Antidiskriminierungsverbandes Deutschland (ADVD). Eine weitere praktische Hürde bestehe darin, beklagt der ADVD, dass bundesweit keine flächendeckende Infrastruktur von Beratungsstellen für von Diskriminierung Betroffene existiere.
In Berlin ist die Lage aber besser als anderswo. Die deutsche Hauptstadt nehme eine „Vorreiterrolle“ ein, so Nuran Yigit vom ADNB, und die vom Senat geschaffene „Landesstelle für Gleichbehandlung“ vermittle nicht nur Beratungsangebote, sondern leiste auch Aufklärungsarbeit.
Doch auch die Berliner Verwaltung kann nichts daran ändern, dass das AGG gemessen an den EU-Richtlinien immer noch unzureichend sei. Letztere sehen zum Beispiel eine Beweislastumkehr im Falle von Diskriminierungen vor. „Das würde es Betroffenen erheblich leichter machen, zu klagen“, sagt Yigit.