Schulreform: Das Gemeinschaftsschul-Massaker

Komplizierte Regeln für G 8 und G 9 und eine Enthauptung der Gemeinschaftsschulen: Schleswig-Holsteins Bildungsminister Ekkehard Klug (FDP) legt sein Schulgesetz vor. Heftiger Widerstand ist angekündigt.

Ist ja nicht alles schlecht, was früher war: Dieses Klassenzimmer ist im Museum zu finden, nicht an einer schleswig-holsteinischen Schule. Bild: dpa

Keine Ruhe auf Schleswig-Holsteins größter Baustelle, dem Schulsystem. Gestern stellte Bildungsminister Ekkehard Klug (FDP) den Entwurf eines Gesetzes vor, das ein ganzes Paket von Änderungen umfasst. So sollen Eltern im ganzen Land wählen können, ob der Weg ihrer Kinder zum Abitur acht oder neun Jahre dauert. Die Gemeinschafts- und Regionalschulen, die erst vor wenigen Jahren eingeführt wurden, sollen einander ähnlicher werden: So könnten die Gemeinschaftsschulen, als Nachfolger und Fortschreibung der Gesamtschulen Modell für gemeinsames Lernen, wieder nach Leistung getrennte Klassen oder Kurse einführen, außerdem wird es deutlich schwieriger, Oberstufen an Gemeinschaftsschulen einzurichten.

Geändert wird außerdem das System, nach dem Gemeinden untereinander die Kosten für die Kinder berechnen, die eine Schule im Nachbarort besuchen. Das schwarz-gelbe Kabinett billigte den Gesetzentwurf, beide Koalitionspartner seien sich einig, so Klug. In Kraft treten sollen die neuen Regeln zum Schuljahr 2011/12.

Einige "Diskussionsprozesse vor Ort" erwartete der Minister - die Opposition und die Lehrergewerkschaft GEW sehen dagegen das Land in Flammen: "Es wird heftigen Widerstand geben", sagte GEW-Geschäftsführer Bernd Schauer. Hennig Höppner, Bildungsexperte in der SPD-Landtagsfraktion, verspricht der Regierung schon mal "einen heißen Bildungsherbst".

2006 kündigte Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) eine große Schulreform an. Ziel: Haupt- und Realschulen sollten ersetzt werden

2007 entstehen die ersten Gemeinschafts- und Regionalschulen; die Zahl der Gemeinschaftsschulen wächst deutlich schneller als die der Regionalschulen

2009 versprechen CDU und FDP während des Landtagswahlkampfes eine Reformpause - "produktive Ruhe" lautet das Schlagwort. Im Koalitionsvertrag steht, es werde keine Änderungen "gegen den Willen der Schulen" geben

2010 legt Minister Ekkehard Klug seinen Gesetzentwurf vor, in dem alles wieder anders ist

KritikerInnen werfen dem vor, dass seine Vorlage vieles erschwere: "Wenn das Gesetz schon so kompliziert ist, bedeutet das nichts Gutes für die Umsetzung", sagt die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Anke Erdmann. Offene Fragen gibt es etwa zum so genannten Y-Modell, das das Nebeneinander von neun Jahre dauerndem Gymnasium - G 9 - und dem Turboabitur G 8 ermöglichen soll. Jedes Kind soll in "zumutbarer Entfernung" - wie groß die ist, mochte Klug gestern nicht beantworten - die Wahl zwischen G 8 und G 9 haben, jede Schule soll selbst entscheiden, ob sie klassisches oder Turbo-Abi anbietet. Einige Gymnasien, etwa 20, schätzte der Minister, sollen G 8 und G 9 künftig parallel anbieten. Mehrkosten sollen dadurch aber nicht entstehen - schließlich sind Klassengrößen von mindestens 25 Kindern festgelegt. Im Zweifelsfall entscheidet das Ministerium. Bernd Schauer schüttelt nur den Kopf: "Unübersichtlicher, verwirrender Murks." Dem Gewerkschafter wäre es lieber gewesen, das Land hätte sich klar zu einer Form bekannt: "Dies schafft nur unsinnige Konkurrenz zwischen den Schulen."

Die zurzeit 94 Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein werden durch das Gesetz praktisch enthauptet: Nur wenn es in weitem Umkreis keine andere Oberstufe in Gymnasium oder beruflicher Schule gibt, darf eine Gemeinschaftsschule bis zum Abitur führen. Bestandsschutz gilt nur für die bisherigen Gesamtschulen. Dazu kommt die Möglichkeit, getrennte Klassen einzurichten: "Das ist die Rückkehr zur Realschule mit Hauptschulteil", sagt Schauer. "Der Gemeinschaftsschule wird jede Attraktivität genommen." Anke Erdmann fragt: "Wie soll so die Abiturquote steigen?"

Teil des Gesetzes ist auch, den Gymnasien mehr Lehrerstellen zu geben, Klug hat dort eine gewaltige Unterversorgung entdeckt. 350 Stellen sollen mittelfristig umgeschichtet werden. Doch sogar die so Umworbenen motzen: "Der Minister hat an Überzeugungskraft und Vertrauen eingebüßt - und möglicherweise auch die falschen Prioritäten gesetzt", schreibt Walter Tetzloff vom traditionell konservativen Philologenverband in einem Text, in dem vor allem die geplante Erhöhung der Pflichtstunden kritisiert wird, in dem Klug aber auch gleich insgesamt sein Fett abbekommt: Der "umsichtige und vertrauenerweckende Oppositionspolitiker" reihe sich, kaum dass er im Amt sei, "in die Tradition seiner Vorgängerinnen ein", befand Tetzloff. Und nannte das "desillusionierend".

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.