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Schüsse der Leningrader Mafia?

■ Der von einer Kugel verletzte Leningrader Journalist Nevzorow außer Lebensgefahr

Leningrad (wps/taz) — Nervös sind sie geworden, die Schieber, Schwarzmarkthändler, kurz die Mafia Leningrads. Das scheint der Schuß auf den 32jährigen Journalisten Alexander Nevzorow zu beweisen, der mit seiner Sendung „600 Sekunden“ der Kriminalität in seiner Heimatstadt auf den Fersen ist. Er wurde am Mittwoch von einem Informanten in einen Wald gelockt und in die Brust geschossen. Verletzt wurde er sofort ins Krankenhaus gebracht und konnte gerettet werden. Sein Leben ist außer Gefahr.

Die Nachricht vom Mordanschlag auf den bekannten und beliebtesten Fernsehjournalisten der Sowjetunion hat auch bei Gorbatschow große Bestürzung ausgelöst. Der Präsident hat sich für eine rückhaltlose Aufklärung des Falles ausgesprochen. Schon spekulieren die Medien darüber, daß es sich nicht nur um einen Racheakt handele, sondern dazu diene, eine Atmosphäre der Destabilisierung zu schaffen, in der dann der Ruf nach einem autoritären Regime wachsen könne.

Nevzorows journalistisches Konzept führte ihn in alle Schichten der Gesellschaft. Indem er nächtens mit seinem Mikrophon loszieht und von Drogenabhängigen bis zu Spaziergängern alle möglichen Leute interviewt, versucht er ein ungeschminktes Bild der Probleme im Lande zu geben. Mit scharfen Kommentaren über die politische Lage und die Schiebereien im Apparat und der Mafia zieht er gegen die Mißstände zu Felde und versucht die Bürger aufzurütteln. Er desavouierte die alte Leningrader Parteiführung ebenso wie die neue, „demokratische“ Stadtverwaltung, deren anfängliche Popularität zurückgegangen ist. Seine Sendungen haben die öffentliche Meinung nachhaltig beeinflußt.

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