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Schubweise in die Schalterhalle

■ Seit gestern morgen stehen Zehntausende Ostberliner vor Banken und Sparkassen Schlange / Anträge zur Kontenumstellung werden entgegengenommen

Ost-Berlin. „Hoffentlich ist dies die letzte Schlange, die wir bis zum 1.Juli durchstehen müssen“, stöhnt eine Frau vor der Sparkasse am Alexanderplatz. Wie viele andere Ostberliner ist auch sie seit Montag früh auf den Beinen, denn die Kreditinstitute nehmen seit diesem Tag die Anträge zur Kontenumstellung entgegen. Zwar können sich die DDR -Bürger bis zum 6. Juli Zeit lassen, „aber ich will es gleich hinter mich bringen“, meint ein Rentner ungeduldig.

Während der langen Wartezeiten hilft man sich gegenseitig beim Ausfüllen der Formulare, was einigen noch Schwierigkeiten bereitet. „Schon beim Abholen der Anträge war solch ein Andrang, daß ich mich nicht richtig erkundigen konnte“, klagt einer der Wartenden. Um die Bankangestellten zu schonen, winkt ein Türsteher die Kunden schubweise in Grüppchen in die Schalterhalle. Dort arbeitet das Personal auf Hochtouren: Die ausgefüllten Formulare müssen überprüft werden, und die eine oder andere Unklarheit gibt es immer.

Damit die Flut der eingehenden Anträge überhaupt bewältigt werden kann, wird in den Banken und Sparkassen nun auch sonnabends, teilweise sogar am Sonntag gearbeitet. „Wir sind froh, wenn das vorüber ist“, meint eine Sparkassenangestellte angesichts des Arbeitspensums der vergangenen Wochen. Sie rechnet jedoch auch nach dem 1.Juli mit regem Kundenverkehr. „Da es keinen Bargeldumtausch gibt, müssen die Leute ja wieder zur Bank, um Geld abzuheben“, erklärt sie, „und außerdem fangen im Juli die Sommerferien an.“

Zuversicht und Angst mischen sich bei den DDR-Bürgern bei dem Gedanken an die bevorstehende Währungsunion. „Noch wissen wir nicht, wie sich die Preise entwickeln werden und was wir für unser Geld kriegen“, meint ein Mann vor der Berliner Volksbank skeptisch. An größere Anschaffungen mit der begehrten neuen Währung denkt vorerst kaum einer. Da müsse man erst einmal abwarten, „denn zunächst haben wir ja weniger Geld auf dem Konto“, erklärt der Mann.

Deshalb stört es auch keinen, daß mit der Umstellung jeder DDR-Bürger zunächst höchstens 2.000 DM auf die Hand bekommt. „Wer wird denn am Anfang so viel Geld abheben wollen“, fragt sich ein älterer Herr vor der Sparkasse Unter den Linden. Die Rentner hoffen auf einen „schönen Lebensabend“, die Jüngeren träumen von Reisen ins Ausland. „Ich will im Sommer mit dem Rucksack nach Griechenland“, meint ein 23jähriger Ostberliner, „dort soll es ja recht billig sein“.

Ute Dickerscheid

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