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Archiv-Artikel

Schritte in die Eskalation

ÄGYPTEN Die Regierung erklärt die Muslimbruderschaft nach dem Anschlag auf ein Polizeigebäude zu einer Terrororganisation

Gelder der NGOs aus dem Umfeld der Muslimbrüder wurden eingefroren

VON BEATE SEEL

BERLIN taz | Knapp drei Wochen vor dem Verfassungsreferendum in Ägypten hat die vom Militär eingesetzte Regierung die Muslimbruderschaft zu einer „terroristischen Vereinigung“ erklärt. Die Übergangsregierung machte die Organisation für einen Selbstmordanschlag auf ein Polizeigebäude in der Stadt Mansura im Nildelta verantwortlich, bei dem am Dienstag 14 Personen getötet und etwa 140 verletzt wurden.

Die Muslimbrüder hatten noch am gleichen Tag die Tat scharf verurteilt und von einem Anschlag auf die „Einheit Ägyptens“ gesprochen. Kurz darauf stellte eine staatliche Druckerei die Herstellung der Zeitung der Islamisten ein.

Am Mittwoch bekannte sich die radikale Islamistengruppe Ansar Beit al-Makdis aus dem Nordsinai zu der Tat. Sie hatte bereits die Verantwortung für mehrere Attentate seit dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi am 3. Juli durch das Militär übernommen, darunter einen fehlgeschlagen Anschlag auf den Innenminister. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge wurden seither mindestens 350 Angehörige der ägyptischen Sicherheitskräfte bei Anschlägen und Schießereien getötet. Noch am vergangenen Montag hatte Ansar Beit al-Makdis Polizisten und Soldaten zur Desertion aufgerufen. Andernfalls würden sie von ihren Kämpfern getötet. In einer Erklärung auf einschlägigen Websites hieß es, Angehörige der Sicherheitskräfte seien Ungläubige, weil sie auf eine „säkulare Regierung“ hörten, wie Ahram Online berichtete.

Am Donnerstag wurden in dem Kairoer Stadtviertel Nasr City vier Insassen eines Busses verletzt, als ein Sprengsatz auf einer Verkehrsinsel detonierte. Ein weiterer Sprengsatz konnte offiziellen Angaben zufolge entschärft werden.

Die Einstufung der Muslimbrüder, die bereits seit September verboten sind, als Terrororganisation bedeutet, dass die Behörden leichter strafrechtlich gegen deren Mitglieder und Unterstützer vorgehen können. „Alle Aktivitäten“ der Muslimbrüder, auch Demonstrationen, seien künftig verboten, sagte der Minister für soziale Solidarität, Ahmad al-Borei. Die Organisation stellte jedoch sogleich klar, dass sie auch weiterhin friedlich demonstrieren werde.

Ebenfalls am Dienstag wurden nach Angaben von AP die Gelder der über 1.000 Nichtregierungsorganisationen aus dem Umfeld der Muslimbrüder eingefroren und über 100 Schulen der Organisation staatlicher Aufsicht unterstellt. Diese Maßnahme zielt auf die Basisarbeit der Muslimbrüder.

Politisch bedeutet die Einstufung der Muslimbrüder als Terrororganisation eine weitere Eskalation der Konfrontation zwischen dem Lager des Militärs und dem der Muslimbrüder in der tief gespaltenen ägyptischen Gesellschaft. Ein Weg zu einer politischen Konfliktlösung ist damit zunächst einmal versperrt.

Eine Eskalation ist aber auch der offensichtlich sorgfältig geplante schwere Anschlag in Mansura. Die Tatsache, dass radikale Gruppen im Sinai zunehmend Polizisten und Soldaten umbringen, erinnert fatal an die Situation im Osten Libyens. Dort greifen ebenfalls al-Qaida-nahe Gruppen ständig Angehörige der Sicherheitsorgane an. Letztes Opfer wurde am Donnerstag ein Armeeoffizier in Bengasi.