Schriller die Glocken nie klingen

Am 28. Dezember, zum „Fest der unschuldigen Kinder“, läuten die Glocken aller katholischen Kirchen aus Protest gegen Abtreibung / Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba ist Initiator des ersten bundesweiten „Mahn- und Trauerläutens“  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Seit die „Speerspitze des deutschen Episkopats“ im osthessischen Fulda mit harter Hand den Krummstab schwingt, hat eine kirchliche Institution eine Renaissance erfahren, die im 19. Jahrhundert durch päpstliches Dekret eigentlich Historie geworden war: Dr. Dr. Johannes Dyba fühlt sich als Erzbischof im Bonifatiusdom zu Fulda zum Oberinquisitor der römisch-katholischen Kirche in der Bundesrepublik berufen, obgleich doch diese Kirche angeblich „die Macht der Liebe“ anbetet. Dyba jedenfalls predigt den Haß auf die „gottlose Gegenwartsgeneration“, die es zulasse, daß am ungeborenen Leben ein „Kinderholocaust“ praktiziert werde. Das war zur Jahreswende 87/88 - und Dyba avancierte für die katholischen Anti -AbtreibungsfanatikerInnen zum „Flammenschwert Gottes“. „Fliegendreck auf Fuldaer Porzellan“ nannte Dyba die hessischen Freidemokraten, die - im Regierungsbündnis mit den Christdemokraten - öffentlich dem Wüten des „Ayatollahs von der Rhön“ (Bernd Messinger/Grüne) Einhalt gebieten wollten.

Doch Erzbischof Dyba erkennt nur die „göttlichen Gesetze“ an - eine Geisteshaltung, die bereits dem ersten Bischof von Fulda, dem legendären Bonifatius, zum Verhängnis geworden war. Der war im Jahre des Herrn 754 von den heidnischen Friesen erschlagen worden, als er voller Gottvertrauen deren eddaistische Donareiche fällte. Der gespaltene Schädel des Missionars wird seitdem im Fuldaer Dom als Reliquie verehrt.

Doch die deutliche Warnung der Kirchengeschichte vor missionarischem Übereifer ficht den amtierenden Bischof nicht an: Am 28. Dezember werden auf seine Initiative hin bundesweit die Glocken der katholischen Kirchen läuten, um alle Frauen, die abgetrieben haben oder abtreiben wollen, daran zu erinnern, daß die göttliche Gerechtigkeit spätestens am Tag des Jüngsten Gerichts ihren Tribut fordern wird. Das „Mahnläuten“ gegen die Todsünde der Abtreibung wird auf Beschluß der Bischofskonferenz sinnigerweise am „Tag der unschuldigen Kinder“ stattfinden, der damit auch zum Tag der unschuldigen Föten werden wird.

Inkonsequenz kann dem rechtskonservativen Bischof denn auch kein Atheist und kein Christ vorwerfen. Im Alleingang hatte Dyba schon vor Jahresfrist die Glocken der Fuldaer Kirchen gegen die Abtreibung in Schwingungen versetzt. Und sein Bischöfliches Ordinariat verlangt beim Grundstücksverkauf von den Interessenten den katholischen Trauschein als Garantiekarte für die kirchengerechte Familienplanung per Zufall. Einen „nordirischen Glaubenskrieg“ und eine „mittelalterlich anmutende Diskriminierung aller Protestanten“ nannte das eine Fuldaer SPD-Stadtverordnete.

Das angekündigte Glockenläuten hatte Mitte Dezember auch den hessischen Landtag in Harnisch gebracht. Mit dringlichen Anträgen wollten SPD und Grüne einen Appell auf „Bimmelverzicht“ an alle Pfarrer und Kirchengemeinden durchsetzen.

Statt zu verurteilen, sollten die Kirchenverantwortlichen „christliche Liebe und Toleranz zeigen“ und die Glocken schweigen lassen, so der Antrag der Sozialdemokraten. Und die Grünen schrieben in ihrem Antrag, daß sie von den Bischöfen ein „aktives Engagement für eine wirkliche Sexualaufklärung zur tatsächlichen Verhütung von ungewollten Schwangerschaften“ erwarten. Der hessische Landtag sollte deshalb das Mahnläuten gegen die Abtreibung und die damit verbundene Anprangerung, Diskriminierung und Einschüchterung von Frauen mißbilligen. Vor dem Landtag erklärte Iris Blaul (die Grünen), daß sich im Zölibat lebende Kirchenmänner wie Dyba selbstgerecht als „Richter über Frauen in Not“ aufspielen würden: „Meine Abscheu gilt diesen Männern der katholischen Kirche, die nichts von ihrer persönlichen Lebenszeit, ihrer Sorge, ihrer Liebe und Mühe Kindern geben und die zudem noch von Priestern, die Väter werden, die Verleugnung ihrer Kinder verlangen.“

Doch als es im Landtag dann ans Abstimmen ging, klinkte sich die FDP-Fraktion aus der parlamentarischen Protestwelle aus und stimmte mit der Union die Anträge von SPD und Grünen vom Parlamentstisch.

In Fulda selbst wollen engagierte Frauen am Tag des „Mahnläutens“ mit einer Kundgebung demonstrieren, daß Frauen, die abgetrieben haben, „ganz normale Frauen“ sind, wie die Fuldaer Stadträtin Vivienne Naumann, eine Protestantin, erklärte. „Wir wollen, daß sich andere Frauen in uns und unseren Aktionen wiederfinden. Wir wollen im Gegensatz zu Dyba niemandem Angst machen.“ Und in der Dezembernummer des Fuldaer Stadtmagazins 'Stattanzeiger‘ greift eine Frau unter dem Pseudonym „Magdalena“ den Kirchenführer Dyba, der die Hanauer Atombetriebe segnete, die Kirchenjugend materiell austrocknet und die Laien vom Altar verbannen will, bibelfest an: „Du, Bruder Dyba, das laß Dir gesagt sein, Du führst uns in die Irre.“