Schriftsteller Simmel ist tot: Mit Kaviar und Zigarren gegen Nazis
Autor Johannes Mario Simmel war ein Moralist, der nach dem Krieg mit rasantem Lob auf die neue Zeit das Leben umarmte, ohne sich bei den Mächtigen anzubiedern. Nun ist er gestorben.
So richtig zufrieden guckte Johannes Mario Simmel schon vor gut einem Jahr nicht auf sein Leben zurück. "Ich habe für ein langes Leben wenig erreicht", sagte er im Gespräch mit der Schweizer Weltwoche, "zum Beispiel habe ich immer gegen die Pest der Nazis und Neonazis geschrieben, und sie sind immer noch da - und wie!" Und mit Blick auf seine eigenen Jahre während des Tausendjährigen Reiches fügte er kühl hinzu: "Die Nazis waren die größte und echteste Volksbewegung, die es je gegeben hat". Dagegen anzuschreiben war Kern seines Schaffens: offensichtlich nahm ihm aber genau dieser Motor die Möglichkeit zu sehen, dass das, was den Nationalsozialismus ausmachte, eben längst nicht mehr cool ist.
Die Bücher des österreichischen Erfolgsschriftstellers Johannes Mario Simmel sind in einer Gesamtauflage von mehr als 73 Millionen Exemplaren erschienen: Sie wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt.
"Mich wundert, dass ich so fröhlich bin" (1949): Der Debütroman basiert auf einer wahren Begebenheit im Zweiten Weltkrieg und begründet Simmels Ruf als Autor dokumentarisch untermauerter Romane.
"Es muss nicht immer Kaviar sein" (1959): Die Erlebnisse eines Geheimagenten wider Willen im Zweiten Weltkrieg. Der Weltbestseller erschien zuerst als Fortsetzungsroman in 66 Teilen in einer Illustrierten.
"Liebe ist nur ein Wort" (1963): Der Roman beschreibt das menschlich schäbige Verhalten von Personen aus der Oberschicht.
"Und Jimmy ging zum Regenbogen" (1970): Das Buch über skrupellose Geheimagenten thematisiert den Handel mit biologischen Massenvernichtungswaffen.
"Der Stoff, aus dem die Träume sind" (1971): Der frühere Zeitschriftenautor und Journalist Simmel setzt sich hier kritisch mit der Scheinwelt der Skandalpresse auseinander.
"Doch mit den Clowns kamen die Tränen" (1987): Das Buch beschreibt die Gefahren der Genmanipulation.
"Im Frühling singt zum letzten Mal die Lerche" (1990): In dem Roman über die globale Umweltzerstörung bezweifelt der Autor, dass die Klimakatastrophe noch zu stoppen ist.
"Träum den unmöglichen Traum" (1996): Ein autobiografischer Roman über das Thema Alter. Am Schluss wird der lebensmüde Held von einem Neonazi ermordet.
"Die Bienen sind verrückt geworden. Reden und Aufsätze über unsere wahnsinnige Welt" (2001): Die "aus Hass auf die Nazis" verfassten Texte stellte Simmel auf einer Lese-Reise vor, zum Teil begleitet von Neonazi-Protesten.
Simmel hat wie kein anderer der populären Schriftsteller der langen Nachkriegszeit diese Volksbewegung zum Thema gemacht; von seinen Büchern mit Titeln wie "Mich wundert, dass ich so fröhlich bin" (1949), "Das geheime Brot" (1950), "Es muss nicht immer Kaviar sein" (1960), "Bis zur bitteren Neige" (1962), "Liebe ist nur ein Wort" (1963), "Und Jimmy ging zum Regenbogen" (1970) bis "Hurra, wir leben noch" (1978) wurden 75 Millionen Exemplare verkauft.
Er war ein Volksschriftsteller im besten Sinne. Von seinem (Generations-)Kollegen Heinz Günter Konsalik ("Der Arzt von Stalingrad") unterschied ihn nachgerade alles: Während der andere ein Publikum bediente, das die Trauer um die Kapitulation 1945, um die Niederlage nicht nur im militärischen Sinne depressiv immer im Gemüt behielt, schrieb Simmel wie ein Berserker sich in die neuen, ersehnten Zeiten hinein. Seine Helden, beispielsweise Thomas Lieven in "Es muss nicht immer Kaviar sein", hatten immer etwas Gebrochenes, Gestraucheltes, zugleich aber lebte in ihnen so etwas wie eine Neugier auf ein besseres Leben, das nicht in eine Matrix von Führerbefehlen und Herrenmenschenallüren passte. Simmel war der Schriftsteller, der keine deutsche Geistigkeit zu Markte trug, sondern emphatisch die swingenden, lebenslustigen und individuellen Zeiten nach dem völkischen Desaster beschwor.
Er lebte den Traum des Davongekommenen. Geboren wurde er 1924 in Wien, seine Eltern kamen aus Hamburg. In Wien wuchs er auch auf, machte eine Ausbildung zum Chemieingenieur. Sein Vater, jüdisch, konnte kurz vor dem österreichischen Anschluss an Deutschland nach England fliehen. Nach dem Krieg wurde Simmel rasch als unnazihaft eingestuft, für die amerikanische Militärregierung arbeitete er als Übersetzer und Journalist. Nach ersten Geschichten, die als Novellensammlung 1947 unter dem Titel "Begegnung im Nebel" erschienen, kam Simmel 1950 zur Quick - eine Illustrierte, die damals enorm wichtig war für die Reeducation des Herrenvolkes. Das Credo war: Hinaus in die Welt, berichten, was Sache ist, den Oberen nicht nachgeben, die schönen, privaten Seiten des Lebens nachgeben, berichten, was schön und gut und spannend ist. Simmel sagte immer, Recherche sei die Quelle allen Schreibens, der Blick auf den eigenen Bauchnabel interessiere nur den Bauchnabel selbst.
Während Konsaliks Geschichten immer durchtränkt waren von Hass auf die neuen Zeiten, lebten die Simmels vom rasanten Lob auf diese. Simmels Helden hatten etwas James-Bond-haftes, es waren sinnliche Dramen um Liebe, Sex, Neid, ums Fressen & Ficken, um Unrast und Verrat, um politische Korruption, um den Zynismus der Herrschenden. Die schreiberische Kunst des Johannes Mario Simmel bestand allerdings darin, dass er diese Geschichten nicht als Lehrstücke, als bildungsbürgerliche Piecen für die gediegene Beweihräucherung in eigener Sache anlegte, sondern als zu Büchern geronnene Filme.
Kurz nach dem Krieg, so gab er der Weltwoche zu Protokoll, "wollte ich so schön schreiben wie Verlaine und Rilke zusammen, aber "als mich dann die gute alte Quick losschickte und ich all das Elend, die Kriege, das Töten und die Lust am Töten sah, da sagte ich mir: Es ist nicht die Zeit, um wie Rilke zu schreiben". Er wollte "den Menschen die Wahrheit nahe bringen", als Akt der Desillusionierung über alle großen politischen und ideologischen Erzählungen. Dem Motto Ingeborg Bachmanns: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar", pflichtete er leidenschaftlich bei. Unumwunden räumte er ein, ein Verzweifelter zu sein - der nach außen allerdings jede Gelegenheit zur Wohllebe mitnahm. Seine Kunst war die des Details: Schmalzbrote, Kaviar, Organzakleider, Smokings, Hotellobbies, Zigarrensorten ... alle Kleinigkeiten einer Geschichten waren ausgemalt, erkundet, belebt. Simmels dickleibige Romane sind Kunstwerke des Spannungsaufbaus und der Inszenierung. Er arbeitete mit Cliffhangern, mit harten Schnitten, jede Lesegier beflügelnd. Man musste weiterlesen, erfahren, wie die Geschichte weiter geht, endet.
Champagner oder Bier - einerlei: Simmel entwarf eine Choreographie der Freiheit, einen Plan von Möglichkeiten, auf dass der braune Terror nie wieder zum Zuge kommt. Seine Nazifiguren hatten etwas Schneidiges, Kaltes, Fürchterliches. Simmel setzte ihnen, vor allem in "Hurra, wir leben noch" aus dem Jahre 1978, ein Panoptikum der Sinnenlust entgegen. Aus dieser in den Fünfzigerjahren angesiedelten Romansaga eines Mannes namens Jakob Formann entwickelt er ein Grundgefühl jener, die die Fünfzigerjahre zugleich auch als eine Restabilisierung alter Klassen- und Distinktionsverhältnisse erinnern. Formann, so wird es geschildert, wollte nur die sieben nationalsozialistischen Jahre nachholen, gestohlene Jahre. Sein Aufstieg zum Kapitalisten ist ein Lehrbeispiel für den Aufstiegswillen seiner Generation - aber Formann wird nie Freund mit den Großkopferten, statt Champagner zieht es ihn zum Bier. Als er alles verliert, merkte er, dass er die Kraft, die er zur gesellschaftlichen Selbstbehauptung einsetzt, nun der Liebe widmen möchte. Der Spiegel erkannte in Simmel einen "Beststeller-Mechaniker", andere Rezensenten einen Moralisten - Urteile, die triftig scheinen. Keine der Simmel-Geschichten mag vom Oben-Unten-Gegensatz lassen: die Oberen verlogen und heuchlerisch, die Unteren ehrlich und gut.
In den Siebzigerjahren begann man auch auf Seiten der Feuilletons, einen wie Simmel ernst zu nehmen - Erfolg ausgedrückt in Auflagenzahlen galt nicht mehr als anrüchtig. Regisseure wie Roland Klick nahmen sich seiner Stoffe an, ein Theatermann wie Peter Zadek entwickelte aus "Hurra, wir leben noch" eine großartige Revue. An Simmel störte nicht mehr, dass er kein Verlaine oder Rilke war - man nahm seine Geschichte als immer leicht überheizte Dokumente dessen, was eben gerade noch war: als Chronist des Zeitgenössischen. So sollte man Simmels Geschichten gerade in diesem Jahr, 2009, lesen: Es könnte behilflich sein, der drohenden Selbstbesoffenheit angelegentlich des 60. Jahrestags der Gründung der Bundesrepublik mehr als nur ein wenig Wermut beizufügen. In seinen Sagen ist von Restauration die Rede, vom Ekel der höheren Schichten auf das Demokratische.
Simmel, der mit Marlene Dietrich befreundet war, der in Iris Berben eine Schwester im Geiste ("Nie wieder) des Kampfes gegen Antisemitismus hatte, fand spät Anerkennung bei den Oberdeutern der Feuilletons. Schirrmacher und andere zollten ihm Respekt. Marcel Reich-Ranicke attestierte ihm, "wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor einen fabelhaften Blick für Themen, Probleme, Motive" zu haben - Umweltverschmutzung, Klassendünkel, Drogen, Kriege, die sogenannte Vergangenheitsbewältigung. Ein Erzähler von großem Format, ein Mann, der Bücher schrieb, für die man nicht vom Lesen lassen mochte.
Er litt länger schon an schwerem Gemüt, zumal er viele Jahre ohne seine geliebte Frau Lulu leben musste. Seine letzte Arbeit schrieb er nicht mehr zuende, fraglich, ob er dies je schaffen wollte. Die Zeiten der Moralisten seiner Prägung, das wird er geahnt haben, waren passé. Die große Wut des Nachkriegs scheint nur noch Sache der alt Gewordenen zu sein, die Jungen vermögen sich in diese Tragödien nicht mehr hineinfühlen zu können. Am Neujahrstag ist Johannes Mario Simmel, glühender Antinazi, in seinem Alterswohnsitz in Luzern gestorben.
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