Schriften zu Zeitschriften: Versteinertes Berlin
■ „ARCH+“, die „Zeitschrift für Architektur und Städtebau“, beschreibt eine fatale Stadtentwicklung
Ende letzten Jahres verkündete im Spiegel der Museumsleiter und Dozent Vittorio M. Lampugnani die Rechtswende in der Architektur. Nun würden „wieder Leute gesucht, die ein anständiges Haus bauen können: mit einem praktischen Grundriß, mit soliden Wänden, mit großzügig proportionierten Räumen, mit fein durchgearbeiteten Fenstern und Türen“. Doch Lampugnani mußte gar nicht erst lange suchen; vielmehr trat er als Sprecher einer Seilschaft gestandener Baumeister in Berlin auf, die für die Ewigkeit bauen möchten – nicht schiefe Türme wie die Dekonstruktivisten. Konventionalität, Standardisierung und Rationalisierung finden Lampugnanis Wertschätzung, da sie „dem Ernst der historischen Situation mit Rigorosität entsprechen“. Vor diesem Hintergrund möche er keineswegs die Architektur des Nationalsozialismus geschmäht wissen, hat sie doch „ausgesprochen solide detaillierte Bauten hervorgebracht“.
Doch nicht dem Spiegel, sondern der neuesten Ausgabe von ARCH+ (Nr. 122) soll hier die Aufmerksamkeit gelten. Mit der Headline „Von Berlin nach Neuteutonia“ bietet die „Zeitschrift für Architektur und Städtebau“ eine breit aufgefächerte Offensive gegen eine „Steinerne Stadt“, wie sie die Berliner Verwaltung und eine Schar von Baumeistern auf dem Potsdamer Platz und am Alex, auf der Museumsinsel, entlang der Friedrichstraße und im Spreebogen errichten möchten. Das Titelbild zeigt eine verzerrte Landkarte von Europa, mehr oder minder gedehnte Kreise zeigen die zukünftigen ICE-Fahrzeiten von und nach Berlin auf: Paris und Madrid liegen plötzlich ganz nah, während der Balkan oder die ehemaligen Sowjetrepubliken weit abgeschlagen bleiben. Im Zentrum des mitteleuropäischen Strudels steht der braungefärbte „Block 208“ am Gendarmenmarkt, zu dessen Errichtung sich die Architekten Kollhoff, Kleihues, Sawade und Dudler zusammengetan haben.
Nach dem Muster der neugestalteten Neuen Wache soll die Planierung der widersprüchlichen Stadtgeschichte im großen Maßstab vollzogen werden. Als erster exemplarischer Ort hierfür bot sich der Potsdamer Platz an. Auf dem durch Bomben geräumten und durch die Mauer zerschnittenen Areal wird zur Zeit ein synthetisches Zentrum errichtet. Nicht nur die Spuren des (Kalten) Krieges sollen beseitigt, sondern auch die getrennten Enden der halbierten Stadt nahtlos miteinander verschmolzen werden. In einer solchen Situation gibt es sicherlich keine vollkommen richtige Lösung, aber sicher völlig falsche. So muß zum Schutz vor Hochhäusern die alte Blockbebauung Berlins herhalten, welche sich vom Bürgersteig aus 22 Meter erheben darf. Durch Tricks wie zurückgesetzte Dachbauten oder eine mehrstöckige Unterkellerung entstehen heimliche Hochhäuser, die einfach etwas tiefergelegt sind. Zudem ist Berlins neue Blockbebauung eine historische Mogelpackung: Die Fläche zwischen den Straßen wächst nicht wie früher anhand diskontinuierlicher Einzelbebauung um einen Hof herum, sondern wird als Ganzes, mit Schächten fürs Tageslicht, überbaut. Es bildet sich nicht mehr stückweise und Haus um Haus ein vielgestaltiges Bild heraus; aus ökonomischen Gründen wird das Areal durch ein voluminöses „Blockhaus“ (Kaye Geipel) aufgefüllt. „Diszipliniert, preußisch, zurückhaltend in der Farblichkeit, steinern, eher gerade als geschwungen“ sollen nach Senatsbaudirektor Hans Stimmann die Gebäude werden. Doch inmitten der steineren Massen und lückenlosen Versiegelung wird man die Gebärden der verbündeten Autorität von Stadtplanern, Architekten und Developern zu spüren bekommen. Die architektonische Geste der Abschottung – Glas oder schmale Metallträger sind weitgehend verpönt – wiederholt sich in der Kumpanei der Berliner Platzhirsche. Josef Paul Kleihues, ehemals Chef der Internationalen Bauausstellung in Berlin, hatte die IBA als Machtplattform genutzt, um den Architekten wieder Gewicht zu verschaffen. Er bildete ein informelles Netzwerk, dessen „Generalstab“ auch Vittorio Lampugnani angehörte. Inzwischen wendet sich dieser „Club“ vor allem gegen lästige Mitbewerber in der Boomtown.
Aufschlußreich ist der Bericht über ein Geheimtreffen im Senatsgästehaus unter Leitung des Regierenden Bürgermeisters. Hier bildete sich Konsens durch ein gemeinsames Feindbild in Gestalt des ebenfalls anwesenden, als „Investorenarchitekt“ verschmähten Richard Rogers. Nun war aber sein von den Bauherren in Auftrag gegebenes Konzept für den Potsdamer Platz stadtverträglicher als der bieder-bullige Sieger des offiziellen Wettbewerbs. Rogers' Konzeption wurde abgetan; der Entwurf von Hilmer & Sattler jedoch „zur Grundlage der weiteren Planung erklärt. Die Investoren lassen ihren Architekten fallen. (...) Insbesondere Kollhoff wird demonstrativ vom Regierenden Bürgermeister, unterstützt von Kleihues, in der Rolle des Diskussionsleiters und Meinungsführers bestätigt.“ Der gedemütigte Brite – er durfte seinen Entwurf für Berlin erst gar nicht vorstellen – beschreibt in einem Interview die aufgeheizte Stimmung: „Das war eine der schrecklichsten Erfahrungen meines Lebens! (...) Wir haben nicht eine einzige Stimme bekommen. Sie verhielten sich wie eine richtige Gewerkschaft. Ein Club. Eine Art Schulterschluß aus politischen Gründen – das hat mir wirklich Angst gemacht.“ Ist der Entwickler des Centre Pompidou und der Londoner Lloyds-Zentrale ein schlechter Verlierer? Es war für ihn ganz sicher nicht der erste versiebte Wettbewerb.
Die Begründung für den einhelligen Rauswurf hat tatsächlich neonationalistische Züge, die im Gewand des Kulturalismus daherkommen. „Wir sollten uns zum Beispiel fragen, was eigentlich ,flexible framework‘ von Richard Rogers mit Berlin zu tun hat: ,Flexible framework‘ ist Empirismus, aber Berlin ist eine Stadt des Idealismus. Das verstehen einige Leute nicht. Hier wird etwas nach Berlin getragen, was einer anderen philosophischen Umwelt und Haltung entspricht“, sagte Kleihues in einem Interview. Auf unheimliche Weise verquickt sich dabei der Kampf um die Definitionsmacht im Architektur-Historikerstreit mit einer Abwehr des Fremden.
„Jeder Architekt oder Historiker mag seine Lieblingsgeschichte im Kopf haben, doch das ist etwas ganz anderes, als Geschichte zur Unterdrückung und politischen Ächtung anderer Geschichtslinien und der Gegenwart zu mißbrauchen“, schrieb Libeskind in einer vom Spiegel zurückgewiesenen Erwiderung auf Lampugnani. Für Rem Koolhaas wurde „durch den Wettbewerb ein grausamer Widerspruch deutlich: Berlin ist in genau dem Augenblick Hauptstadt geworden, in dem es politisch, ideologisch und künstlerisch am wenigsten in der Lage ist, diese Verantwortung zu übernehmen.“ Man kann es auch anders sehen: Das neue Deutschland, vertreten durch den Regierenden Bürgermeister und seine Senatoren, hat genau diejenigen Baumeister gesucht und gefunden, welche dem Neonationalismus des Landes entsprechen. Jochen Becker
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