: Schrift scheinbar überflüssig
■ Expertin: „Computergeneration“ verlernt das Alphabet
Immer mehr junge Menschen sind nach Einschätzung der Alphabetisierungs-Expertin Magdalena Gobelius schon wenige Jahre nach der Schulzeit kaum noch in der Lage, zu lesen und zu schreiben. „Die Computergeneration hat oft große Schwierigkeiten mit dem geschriebenen Wort, weil elektronische Medien die Schriftssprache scheinbar überlüssig machen“, sagte Gobelius anläßlich des heutigen „Weltalphabetisierungstages“.
Die Zahl der Betroffenen, die trotz Schulbesuchs nicht richtig schreiben und lesen können, nehme ständig zu. Allein in Hamburg schätze man ihre Zahl auf 40.000 bis 80.000, bundesweit dürften es bis zu vier Millionen Menschen sein, erklärte die Pädagogin. Im Unterschied zu den unterentwickelten Ländern, in denen Analphabeten keine Möglichkeit hatten, eine Schule zu besuchen, spricht die UNESCO in Industriestaaten vom „funktionalen Analphabetismus“, das bedeutet, daß gesellschaftliche Mindestanforderungen im Alltag nicht erfüllt werden können.
In einem gemeinsamen Brief an „ser gertre Her Kansler Kohl, ich kan nich lese und schreibn“ machen Teilnehmer aus Alphabetisierungskursen der Hamburger Volkshochschule (VHS) auf ihre Situation aufmerksam und fordern den Kanzler auf, zu verhindern, daß Mittel für entsprechende Angebote – wie in einigen Bundesländern bereits geschehen – gekürzt werden.
„Die Absolventen der Kurse werden immer jünger und haben die Schule nicht selten erst vor kurzem mit oder ohne Abschluß verlassen“, so Gobelius. Viele von ihnen sind nach ihrer Ansicht „an unserem Schulsystem gescheitert“.
Zu große Klassen und die Fülle des Lernstoffs überforderten die Lehrer oft. Fehlende Fördermöglichkeiten und ein gewisser Freiraum für Legastheniker in der Schule hätten später fatale Folgen. Mangelnde Schreibfähigkeit sei ein großes Handikap für jegliche Ausbildung, für das Selbstbewußtsein insgesamt. Hier setzt die Arbeit der VHS-Alphabetisierungskurse an, die Lust am Tagebuch- und Briefeschreiben und am Lesen vermitteln will. Kontakt unter Telefon: 3504-2792. dpa
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