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Schreinemakers RacheAtmen und Vergeben

Margarethe Schreinemakers kehrt zurück. Ins Fernsehen. Am Freitag um 18.45 Uhr. Mit der Sendung "01805-100232". Bei Neun Live. Ein ehrlicher Ort für eine ehrliche Haut.

Talk-Ruine, Übermutter, Blablabla: Margarethe Schreinemakers in ihrem privaten Fernsehstudio Bild: ap

Lazarus hätte längst aufgegeben - der trieb aber auch nicht soviel Sport und hatte als Coach nur Jesus. Margarethe Schreinemakers hat an und für sich nur sich und anscheinend Geld und Geltungsdrang genug, nach wiederholtem Scheitern (1996 das Ende ihrer Show bei SAT.1, 1997 das Ende bei RTL, 2001 die RTL2-Abnehmshow "Big Diet", 2004 die ARD-Mittagsshow "Schreinemakers") einen weiteren Bildschirm-Flop zu riskieren. Ungefährer Inhalt: Betroffenheit - und Infos gegen Bezahlung.

Diesmal sendet die Frau direkt aus ihrer belgischen Villa gegen das Vergessenwerden an. Heimarbeit. Hier hat sie sich hinter stattlichen Mauern ein eigenes Fernsehstudio einrichten lassen. Wenn schon der Erfolg nicht sicher ist, dann wenigstens sie.

Margarethe Schreinemakers war in den vergangenen Jahren medial schon so oft totgesagt, präziser: medial tot, da kommt es auf einmal mehr nicht an. Second Life?! Seventh Life!

Wieder setzt sie ganz auf ihre alten Geber-Qualitäten. Wie zu Beginn der Karriere. Da gab sie ihren Gästen mit einer emotionalen Druckbetankung letztlich eine Form von niederrheinischer Mutterliebe und dazu mehr hübsch authentische Leiblichkeit als ihr pastoraler Epigone Jürgen Fliege. Mit ihrer ganz persönlichen Variante des gefühlsinvestigativen Journalismus erträufelte sie sich in der Spitze bis zu zehn Millionen Zuschauer.

Sie hatte alle da: geknickte Ehefrauen, geknackte Ehemänner, beknackte Kinder, tausendfach Mühselige und Beladene. Sie rief zu Spenden auf für Unfallopfer, für die unser kaltherziges Land anscheinend so gar kein Geld aufbringen konnte. Wie auch, wenn Höchstverdiener wie Frau Schreinemakers aus steuerlichen Gründen lieber in Belgien siedeln?

Aber das waren die Neunziger. Das Heute ist anders. Wärmer, fröhlicher, kämpferischer, optimistischer und so. "Drei Jahre", sagt Margarethe Schreinemakers, habe sie mit einer "Gruppe von Fachleuten" an einem "bislang weltweit einzigartigen System" getüftelt, das sie nun via Neun Live präsentiert. "Das Konzept ist in Deutschland einmalig. Parallel zur Live-Sendung bin ich gleichzeitig über Internet und Telefon mit den Zuschauern verbunden", sagt sie der Bild-Zeitung, und wirbt in einem Trailer: "Was auch immer Ihnen durch den Kopf geht, lassen Sie uns darüber reden."

Kleinvieh hat auch Probleme: keine Liebe, keine Arbeit, keine Wohnung. Margarethe hat Lösungen. Ein "Chathouse", in dem sich das Kleinvieh leerquatschen soll. Miteinander und mit Experten. Gern hunderttausendfach. Rund um die Uhr. Im Animiertext dazu heißt es schön obszön: "Liebe Nokia-Mitarbeiter in Bochum, liebe Siemens-Mitarbeiter in München, liebe Ford-Motorenbauer in Köln: (...) Funkt SOS in dem dafür eigens eingerichteten SOS-Chathouse. (...) Kämpft um einen neuen Job! Margarethe Schreinemakers kämpft mit Euch!"

Sie selbst hat pünktlich zum Sendestart eine neue Liebe ("Ein junger Belgier macht sie glücklich", titelt so instinktiv wie geschmacksicher: Bild) und neue Arbeit ("Lieber Besucher meiner Internetseite, Sie merken: es brummt!"). Eben dort strickt eine gewisse Diana Beate Hellmann ("zählt zu den erfolgreichsten deutschen Schriftstellerinnen. [...] Roman: ,Zwei Frauen', 1989; [...] Sachbuch: ,Leben ohne Alkohol', 2001") mit unschuldigen Händen eine vulgärkatholische Heiligenlegende:

"Sie ist ein Menschen liebender Mensch, eine anständige Frau, eine Mutter im wahrhaftigsten Sinn des Wortes. Sie ist eine Seele, die sich als kleiner Teil des großen Ganzen versteht. (...) All das würde sie niemals über sich selbst sagen oder auch nur denken, denn dazu ist sie viel zu bescheiden. Ja, Margarethe Schreinemakers ist bescheiden, denn Bescheidenheit hat nichts damit zu tun, wie viel Geld man besitzt oder wie groß das Haus ist, in dem man wohnt. Das Interesse dieser Frau an anderen Menschen ist nicht aufgesetzt, sondern ebenso selbstverständlich für sie wie Atmen und Vergeben."

So atmet es gnadenlos weiter den entsagenden Geist des Eva-Prinzips. Dass sie Respekt, Treue, Moral und Anstand nicht einfach anderen predigt, sondern selber lebt, dass sie die "seltene Gabe" besitzt, "über sich selbst lachen zu können" ...

Diese Gabe wird sie brauchen, da ihr Lebensweg sie folgerichtig dorthin geführt hat, wo Menschen jeden Tag aufs Neue tonnenschwere Schuld auf sich laden und die verbreitete Gabe besitzen, heimlich über andere zu lachen. Zu Neun Live. Der kesse Gewinnspiel-, Anruf-, Abzock- und Telefonsex-Sender zum Mitmachen und Aufs-Kreuz-gelegt-werden. Ausgerechnet hier will Schreinemakers "Lebenshilfe pur" bieten für all die Rührseligen und Verladenen, die eben hier so konsequent vom Leben getäuscht werden. Hier macht sie sich auf den Weg zu neuen Opfern. Hier wagt sie, die seit Jahren unerwähnt ist oder bestenfalls die ehemalige/einstige/frühere Quoten-Queen, den "Anfang vom Fernsehen der Zukunft".

Wahrscheinlich hält sie sich persönlich wirklich für einen alterslosen Hot Button. Was eigentlich nur traurig wäre, würden nicht soviele Leichtgläubige ihren Weg pflastern. Ist es da Zufall oder schon göttliche Vorsehung, dass just an diesem Freitag noch eine andere getriebene Selbstvermarkterin das Licht der Öffentlichkeit sucht? Auch aus einer katholischen Familie, fast fünfzig, späte Mutter und ganz schön sportlich. Madonna.

Hier Pop-Ikone, da Talk-Ruine. Hier Kabbala, da Blablabla. Madonna wirbt für ihr neues Album: "Ich werde euch in den Hintern treten, aber ihr werdet euch gut dabei fühlen!" Auf alle anderen wartet Margarethe, das wahre Material girl. Wir atmen schwer. Vergeben können wir nicht. Vergeben kann nur sie.

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