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Schreiben über WissenschaftDie Dynamik der Angst

Alarmismus verdrängt oft eine seriöse Einordnung in Artikeln über Wissenschaft. Die Leser reagieren und werden immer cooler. Horror auf dem Titel verkauft sich längst nicht mehr.

Wie schlimm wird es wirklich? Beispiel Vogelgrippe. Bild: dapd

BREMEN taz | "Wir müssen uns immer die Frage stellen, was unser Job ist", sagt Franco Zotta von der Initiative Wissenschaftsjournalismus. Die wird von der Robert-Bosch-Stiftung, dem Stifterverband und BASF getragen und veranstaltete in dieser Woche die Fachtagung "Wissenswerte" in Bremen. "Hier nutzen wir auch die Gelegenheit zur Selbstreflexion", sagt Zotta. Wozu auch die Diskussion gehöre, wie Wissenschaftsjournalismus nicht länger zur Verängstigung der Leser beiträgt.

Das ist dringend geboten, kann doch überdrehte Berichterstattung auch gefährlich sein. Der Pressekodex gebietet bei Medizinthemen, zurückhaltend zu formulieren, um bei Betroffenen keine falschen Hoffnungen zu wecken – etwa auf ein Aids-Medikament. Das lässt sich auch auf andere Forschungsgebiete erweitern, selbst wenn der Kodex dies nicht explizit vorgibt.

Doch in der Realität werden immer neue Themen durch den medialen Durchlauferhitzer gejagt – bis sie sich als harmlos erweisen. Allein die Liste der gefährlichen Krankheiten in diesem Kreislauf ist lang: die Lungenkrankheit Sars, Vogelgrippe, Maul- und Klauenseuche. Oder BSE, das heute schon fast vergessen ist, vor zehn Jahren aber die Nachrichten mit Bildern von gekeulten Rindern dominierte.

Die Folge: Die Leser stumpfen ab und reagieren immer uninteressierter auf die neueste Katastrophe, so berechtigt sie auch sein mag. Immer schneller wird ein Thema gespielt und eine Meinung statt einer Einordnung präsentiert. "Es entwickelt sich so etwas wie eine Angstdynamik", sagt der Soziologe Peter Weingart. Die Medien drehten auf, die Politik sieht ihre Machterhaltung bedroht und fällt in den Aktionismus mit ein. Aus dieser Katastrophenkaskade rauszukommen ist schwierig. Erst spät wird, wenn überhaupt, korrigiert, differenziert und kritisiert.

"Je mehr Journalisten von der Rolle des Berichtenden in die Rolle des Richters wechseln, desto mehr müssen sie korrigieren", sagt Stern-Chefredakteur Thomas Osterkorn. Dieser Wechsel gebiert laut Maik Schäfer, Juniorprofessor am Klima-Campus Hamburg, den "coolen Leser". Der wisse inzwischen sehr genau, dass sich die Erde auch morgen dreht. "Deshalb ist es gut, dass immer mehr gut ausgebildete Leute in den Redaktionen sauber arbeiten", sagt Osterkorn. Man muss sich einfach wieder mehr auf die eigentliche Rolle des Journalisten beschränken.

Pures Handwerk also. Gerald Traufetter, Wissenschaftsressortleiter beim Spiegel, bringt es auf ein Wort: "Recherche". Die kann helfen, sagt er. "Man muss über Zusammenhänge schreiben." Als Beispiel bringt Traufetter die Klimawandel-Debatte und die Fehler im vierten Weltklimabericht, die dazu beitrugen, dass es eine kräftige Gegenströmung nach dem Motto "Ist ja alles nicht so schlimm" entstand.

Das freilich kann eine Redaktion des Spiegel, des Stern oder der Zeit durchaus leisten. Mit wissenschaftlich qualifizierten Journalisten, einem ordentlichen Budget und einer ansehnlichen Dokumentation ausgestattet, recherchiert es sich ausführlicher als in regionalen Tageszeitungen. Doch auch die beste Rechercheleistung, verpackt in dicken Titelgeschichten, wird nicht immer vom "coolen Leser" goutiert. Das jedenfalls weiß Thomas Osterkorn aus Erfahrung: "Horror auf dem Titel verkauft sich nicht."

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3 Kommentare

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  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Beim Medizinjournalsimus kommt die Zurückhaltung kaum aus der Angst von der falschen Hoffnung, die wird täglich milliardenfach verschrieben, sondern der vor dem aufwachen schlafender Hunde.

    "Etwas besseres als den Tod finden wir allemal" - da war auch ein Hund dabei. "Aber höchstens mittlefristig"

    gießt dann noch mehr Öl ins lodernde "sinnloses Leidenopfer".

  • V
    vorp

    Dazu Kurt Eisner vor 90 Jahren:

    "Es gibt keine freie Presse. Es gibt nur eine Gewerbefreiheit für die Presse. (aus der Neuen Zeitung, 1. Jg, Nr. 1, vom 20.12.1918)"

    Ein alter Hut...

  • L
    linsenspaeller

    Sowohl der Qualitätsjournalismus als auch der eher am Boulevard orientierte lebt letztlich nicht von der Qualität seiner Arbeit, sondern von den Werbeumsätzen seines Mediums. Das ist eben nicht dasselbe, sondern ein verbundenes Geschäft mit den speziellen Eigenheiten, die für solche Geschäfte zu beobachten sind. Es gibt andere verbundene Geschäfte, die längst als unseriös gelten. Darüber mag man streiten und verschiedene Ansichten haben. Doch es ist Blasphemie, angesichts einer Sintflut von Journalisten und "Medienaktivisten" nach einer besseren Ausbildung zu rufen. Zur Not wird man immer noch einen promovierten Physiker oder Biologen auftreiben, der oder die auch ohne journalistische Ausbildung einen guten, dem öffentlichen Interesse würdigen Text verfassen kann. Damit ist aber der Branche als solche nicht geholfen, die Werbung in ihrer derzeitigen Ausprägung und Wirksamkeit ernährt einfach zu viele ihrer Vasallen. Also auch Menschen, die zumindest in Zeiten der Hochkonjunktur in anderen Branchen dringend fehlen. Nun frage mich bitte keiner, wie man dem undiktatorisch, marktgerecht und methodisch klug abhelfen könnte.