■ Schöner leben: Der Blick nach gegenüber
Manche Menschen wohnen unterm Dach. Ihr Blick aus dem schrägen Fenster geht frei in den Himmel. Manche leben im Souterrain und genießen - wie Jean-Luis Trintigant in „Auf leben und Tod“ - die Aussicht auf schlanke Frauenbeine. Und dritte schließlich haben ihr Schreibtischfenster auf gleicher Höhe zu einer gegenüberliegenden Nachbarwohnung, und gesetzt den Fall, sie besitzen eine zugleich voyeuristische und exhibitionistische Neigung, dann empfinden sie es vielleicht als glückliche Fügung, wenn ihr Nachbar seine Vorhänge nicht zuzieht, und sie erachten es geradezu als Geschenk, wenn er darüberhinaus die Angewohnheit haben sollte, seine Abende und Nächte auf einem beleuchteten Balkon zu verbringen. Er liest. Sie lesen auch. Er trinkt Whiskey. Sie Bier. Er ist kurzsichtig und kann sie nur beobachten, wenn er seine Lesebrille abnimmt. Sie hingegen bekommen gerade dann Konzentrationsschwierigkeiten, wenn kühles Wetter ihn zwingt, an seinem versteckten Schreibtisch zu arbeiten. Vielleicht finden sie den Nachbarn gar nicht mal ansehnlich, aber wenn er plötzlich auf dem Balkon das Licht ausmacht und im Schutz der Dunkelheit — vielleicht — zu ihnen hinüberstarrt (oder nur in sich hinein?), dann könnten sie ihn eigentlich auch einmal grüßen. Eigentlich.
Cornelia Kurth
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