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■ Schöner lebenLaß knacken!

„Laß füllen!“verlangt – in dicken Lettern steht es obenauf – die sonntägliche Berliner Brötchentüte von uns. Nach dem Auspacken gibt das Ding immer noch keine Ruhe: „Wir wünschen einen knackfrischen Sonntag!“Danke. Während des Bestreichens des ersten Sonntagsbrötchens – die Butter quengelt noch vor Kälte – drängt sich die Frage auf: Warum muß heute alles knacken, knuspern, crunchen? Sogar metaphorisch?

Es ist nicht auszuschließen, daß der Akt der Nahrungsaufnahme wieder ins Bewußtsein gehoben werden soll. Schließlich geht die zeitgemäße Fütterung weitgehend lautlos vonstatten. Der Hamburger bahnt sich glitschend-matschend seinen Weg durch die Zähne, die Bratwurst leistet beim Zubeißen kaum Widerstand, die Tiefkühl-Lasagne gehen ebenfalls still-klebrig runter. Die Pommes sind rot/weiß-schallgedämpft. Die Bestätigung des Eßvorgangs liefert erst wieder das Rülpsen danach.

Letztlich unbefriedigend, mag sich die Nahrungsmittelindustrie gedacht haben, der moderne Konsument wünscht sich die Bestätigung des Eßvorgangs bereits in actu. Seitdem knackt und knuspert es, daß es eine Art hat. Nicht nur die omnipräsenten Nachos, Knacker oder knackig gebratenen Fleischteile jeglicher Herkunft. Heute knacken sogar Salate. Allen voran der Eisberg-Salat, wie er, sein Dasein an den Deko-Rändern ungezählter Tellergerichte fristend, überall zu finden ist.

Irgendwann war das nicht mehr genug und gleich ein ganzer Wochentag wurde für knackfrisch erklärt. Seitdem ist kein Halten mehr: Wo man auch hinkommt; diese gutdurchblutende Spannung in den Gesichtern! Alles im grünen Bereich. Das sportive Lächeln der Fahrer, die in den Wagen vor den Läden warten, aus denen die Frauen neue Knackfrisch-Produkte erwerben. Der ganze Sand in der Servicwüste wie weggeblasen. Die Loreley, eine knackige Dame. Hermann, der Cherusker, der Roland: Ich drück' euch – knack, knack, antwortet es. Der Standort Deutschland, lange genug von sozialer Verhärtung und ernährungstechnischer Verweichlichung, siehe oben, gleichermaßen bedroht, ist aus dem Schneider. Wenigstens am Sonntag. Der Bäckerinnung sei Dank.

Alexander Musik

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