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Schöner Schrecken

■ H.P.Lovecraft

Fantastische Literatur ist ein Spiel mit Stereotypen. Zerrüttung ihr Ziel. Sie jongliert mit der „ältesten und stärksten Empfindung des Menschen“, der „Angst vor dem Unbekannten“ - wo Howard Phillips Lovecraft in seiner StudieUnheimlicher Horror. Durch eine vordergründige Erzählweise, die pedantische Chronik seltsamer Vorkommnisse, erschleicht sie sich das Einverständnis des Lesers. Für die Dauer der Lektüre soll etwas glaubhaft werden, das es innerhalb der bekannten Grenzen der Wirklichkeit nicht geben dürfte.

Von H.P.Lovecraft (1890-1937), Poes Enkel und Stephen Kings Großvater, seit seiner Entdeckung durch Jean Cocteau und H.C.Artmann auch in Europa ein Gigant des Genres, stammen einige der hinterhältigsten Horrorgeschichten, die den Spielraum der Gattung erweitert haben. In den späten Meistererzählungen At the Mountains of Madness, The Case of Charles Dexter Ward oder The Shadow out of Time bereitet der Chefkoch aus den billigen Zutaten der Trivialliteratur ein Menü, das auch verwöhnten Geschmäckern mundet. Versagende Vernunft

Der unverwechselbare Lovecraft-Ton ist die zitternd um Objektivität ringende Stimme eines wissenschaftlich gebildeten Ich-Erzählers. Schreibend versucht er dem Schrecken standzuhalten und vor dem Eindringen in die Zone des Ungewissen zu warnen. Sich durch den Bericht unumstößlicher Tatsachen vortastend, zaghafte Anspielungen wiederholend, zögert der Erzähler, das Wesentliche zu benennen. Je näher der Bericht der Enthüllung kommt, desto brüchiger wird seine Stimme, bis sie sich endlich in Gestammel auflöst.

Lovecrafts besondere Eigenart ist seine Poesie und Lautmalerei: „Pth'thya-l'yi“ und „Y'hanthlei“, „Iä-R'lye! Cthulhu fhtagn! Iä! Iä“!“ heulen die Helden in höchster Angst. Die komplexeren Geschichten setzen solche Sprachverwirrungen dramaturgisch ein. Sie häufen sich und nehmen an Exzentrizität zu, lateinische Zitate mischen sich mit pseudo-arabischen Formeln, um in Notationen für Gaumengymnastik zu explodieren, sobald der äußere Wahnsinn erreicht ist. Das Letzte ist namenlos, dem absoluten Schrecken antwortet nur Schweigen. „Cthulhu“ heißt der oberste von Lovecrafts schlafenden Göttern in den Untiefen der Alpträume - das heißt nichts, ein Wort wie Rotz zwischen den Lippen. Die angestrengte Benennung betont die Unaussprechlichkeit.

Der Paravent der Vernunft, der das nackte Chaos des Kosmos abschirmt, und den die traditionellen Gruselgeschichte wie zum Happy-end immer wieder aufrichtet, klappt bei Lovecraft regelmäßig um. Statt die Weltordnung vor dem Irrationalen zu retten, versagt der Verstand kläglich angesichts dessen, was hinten hockt: ein blinder Idiotengott, der seine Panflöte aus Knochen in Blut tunkt, bevor er sie bläst.

„Die größte Gnade auf dieser Welt“, so Lovecrafts Credo, „ist das Nichtvermögen des menschlichen Geistes, all ihre inneren Geschehnisse miteinander in Verbindung zu bringen. Wir leben auf einem friedlichen Eiland des Unwissens inmitten schwarzer Meere der Unendlichkeit, und es ist uns nicht bestimmt, diese weit zu bereisen.“ Der totale Schrecken

Der leidenschaftliche Chemiker und Astronom, ein „mechanistischer Materialist“, den seine Freunde als wandelnde Enzyklopädie beschreiben, ein Mann der Wissenschaft also, visiert als Autor die Ohnmacht des Menschen an. Lovecraft schreibt in dem „Gefühl, daß die Welt des Greifbaren nur ein Atom in einem unermeßlichen und bedeutungsschweren Gewebe ist und daß unbekannte Kräfte die Sphäre des Bekannten an jedem Punkt bedrängen und durchdringen“. Seine Protagonisten sind Beobachter oder Opfer, nie aber Täter. An der Klimax umfängt sie gnädige Bewußtlosigkeit. Die „logischen Helden“ der Geschichten sind mithin „Naturerscheinungen, nicht aber Personen“.

Die Geschichten kennen kein Gerumpel in der Kammer, keine zutraulichen Gespenster, die mit Zaubertricks in ihre Gräber zurückgescheucht werden können. Lovecrafts Bilder des Entsetzens sind von eschatologischer Totalität. Sie fügen sich zu einer systematischen Gegenwelt des naturwissenschaftlichen Kosmos, einem Paralleluniversum der schwarzen Magie und des schlechthin Unbegreiflichen.

Der Kurzroman Berge des Wahnsinns, angelegt als Fortsetzung von Poes Erlebnissen des Artur Gordon Pym, führt eine geologische Expedition zu einem Felsmassiv in der äußersten Antarktis, höher als der Himalaya, hinter dem sich, unabsehbar bis an den Horizont und tief unterm Eis vergraben, eine prähistorische Stadt erstreckt. Die Bedrohung, vor der der Ich-Erzähler warnt, gilt nicht der Seelenruhe der Bürger und ihrem von einer begrenzten Abnormität verstörten Alltag. Den Schlaf hinter den Bergen zu unterbrechen bedeutet, Verderben über den gesamten Globus heraufzubeschwören. Die nicht-euklidische Zyklopenstadt im ewigen Eis ist der schiere Widersinn der Naturgeschichte.

Nicht einzelne Häuser sondern ganze Städte fallen dem Bösen anheim; nicht ein Monster, sondern Legionen von ihnen lauern bereit zum Ausbruch. Der ultimative Horror sind die „Schoggothen“: „eine formlose Masse protoplasmischer Blasen, schwach luminiszierend und mit Myriaden vergänglicher Augen“.

Die Übermacht eines Grauens, das im Begriff steht, Raum und Zeit zu überschwemmen, und in dem Archaisches und Science -fiction zusammenfallen, ist Lovecrafts eigenste Zutat zum Genrespiel. So geht auf sein literarisches Konto die von Gestalten wie Däniken und Buttlar pseudo-wissenschaftlich propagierte „Prä-Astronautik“, die den Ufo-Glauben in die Historie zurückprojiziert.

Lovecrafts literarischem Privatmythos zufolge kam in vormenschlicher Zeit die „große Rasse“ von einem sterbenden Stern weit außerhalb der Galaxis. Sie schuf Städte mit nicht -euklidischer Geometrie, in deren Ruinen in der Antarktis, der australischen Wüste oder versunken im Südpazifik, schlafende Monstra warten, um durch eine unvorsichtige Annäherung des Menschen geweckt zu werden. Geheimkulte allenthalben erhalten das Wissen um diese Vorzeit, und die Bücher, in denen einschlägige Formeln bewahrt werden, sind dementsprechend gefährlicher als alle Superwaffen. An den Rändern verleibt der manische Leser Lovecraft sämtliche Motive des Genres, Vampirismus, Hexenwahn, Lykantropie, seinem „Cthulhu„-Mythos ein. Schauderhafter Ramsch

Der Einsiedler und panische Briefschreiber, der den Tag hinter zugezogenen Vorhängen und die Nacht auf Friedhöfen verbrachte, selbst eine Schauergestalt, hat das amerikanische Publikum erst nach seinem Tod für sich einnehmen können. Zu offenkundig ist das Neu-England seiner Horror-Topografie, die älteste Region der USA, das Negativ des „American Way of Life“. Bevorzugte Brutstätte des Bösen ist das puritianische Providence, sein Geburtsort und eine der malerischsten Städte des Landes. Ganze Landstriche der Ostküste sind von Widerwärtigkeiten verseucht, schleichender Verfall ist allgegenwärtig. Fortschritt und technologischer Aufbruch sind in dieser Welt kontraproduktiv. Statt die Welt beherrschbar zu machen, beschleunigen sie die Machtergreifung durch das Grauen.

Unheimlicher fast noch als seine Geschichten ist der Umgang mit ihnen. Allenfalls zwei Dutzend seiner rund 60 Erzählungen sind mehr als Trivialliteratur. Gleichwohl scheint ihn sein deutscher Verlag zum Großschriftsteller weihen zu wollen. Unter dem Titel Azathoth sind eben jetzt vermischte Schriften erschienen: Fragmente, frühe Geschichten, Notizbücher, die der unverhältnismäßig großen Zahl von Sekundärveröffentlichungen neues, aber wenig erkenntnisträchtiges Material zuliefern.

Außerdem enthält der Band ein Dutzend Stories, teilweise schauerhaften Ramsch, die durch den Namen Lovecraft veredelt werden: Texte, die er für andere Autoren bearbeitet hat, beziehungsweise die sein Nachlaßverwalter August Derleth posthum „vollendet“ hat. Der Band Das Grauen im Museum hatte bereits die eigenwilligeren Produkte dieses Ghostwriting vorgestellt - nun wird auch noch der Rest aus der Schublade gekramt und einem nach Verlagsmeinung gierigen Publikum serviert.

Die Aufmerksamkeit der Interpreten konzentriert sich denn auch weniger auf das Werk als auf dessen Zusammenhang mit der Biografie. Anders als bei vergleichbaren Genreautoren, die bei ihrem Spiel Distanz wahren, ist bei Lovecraft Schreiben immer auch Therapie, Bekenntnis, Selbstdarstellung. Der Ruf der Vulva

„Sie baten mich zu erklären, weshalb ich mich vor einem kühlen Luftzug ängstige; weshalb ich beim Betreten eines kalten Zimmers mehr als andere erschauere und angeekelt und abgestoßen wirke, wenn der Abendfrost durch die Wärme eines milden Herbsttages kribbelt.“ So klassisch beginnt Cool Air. Erzählt wird die Begegnung mit einem Arzt, der seine Lebensfunktionen über den Tod hinaus mittels einer Amoniakkühlanlage konserviert.

Das Klischee ist alles andere als willkürlich, der durchschnittliche Einfall verspiegelt ein Selbstporträt, die Gänsehaut ist unerwartet echt. Denn der Autor hatte wahre Todesangst vor der Kälte. Lovecraft litt an einer seltenen Krankheit, Poikilothermie, durch die der Organismus die Fähigkeit verliert, die Körpertemperatur konstant zu halten. Wie bei Reptil und Fisch paßt sie sich statt dessen der jeweiligen Umgebung an. Schon ein Spaziergang im Winter ist lebensgefährlich. Tod und Eisesstarre waren für Lovecraft nicht nur metaphorische Geschwister, die er für beliebige Effekte montierte.

In Julia, oder die Gemälde übersetzt Arno Schmidt Lovecrafs The Call of Cthulhu mühelos in eine Darstellung von dessen erstem Geschlechtsverkehr im Alter von 34 Jahren. „Ich war der Aggressor“, gab seine sieben Jahre ältere Frau zu. Cthulhu, das schleimige, saugende Monster, das der zölibatäre Held in der Tiefsee aufstöbert, beschreibt Schmidt als Angstparodie der Vulva. Daß es grün ist, versteht sich von selbst: Greene war der Name von Lovecrafts Frau. Fantastischer Faschismus

Neben solchen eher harmlosen Querbeziehungen zwischen Leben und Werk wird ein Aspekt von den Interpreten hartnäckig heruntergespielt: Lovecrafts Faschismus. Hilflos hält man ihm zugute, daß er „in Wahrheit“ ein freundlicher, zurückhaltender Mensch war und gar nicht martialisch. Daß seine Frau Jüdin war, soll seine glühende Vereherung für Chamberlain und seine antisemitischen Ausfälle entschuldigen. Indes war sein Rassismus nicht einmal nur eine bloße Privatmeinung. Als Präsident der „United Amateur Press Association“, einer bundesweiten Organisation von Hobbyautoren, hat er seine Hetze auch in offizieller Funktion verbreitet.

Nicht zuletzt aber ist der rassistische Gedanke ein geradezu konstituierendes Element seiner Erzählungen. Das Böse ist immer auch ausländisch, jüdisch, durch Vermischung degeneriert. Den Vorurteilen des Menschen Lovecraft entsprechen Bilder des Schriftstellers. Von „verschlagenem Rattengezücht aus dem Getto“ spricht er in Briefen und Erzählungen nahezu gleichlautend.

Freilich ist auch der Widerspruch im Werk derselbe wie im Leben. Wie er als Antisemit Freundschaften mit Juden hat unterhalten können, sind etliche seiner Protagonisten, Identifikationensfiguren für den Leser und kaum verhüllte Selbstporträts, ihrerseits Abkömmlinge verachteter Rassen und Familien.

Lovecrafts absurde Hoffnung auf die arische Rasse, die „Creme der Menschheit“, gilt in seinem Werk nichts. Wenngleich dort dieselbe Angst wirksam ist, die aus dem lebenslangen Muttersöhnchen, das seine Autobiographie Anmerkungen zu einer Null betitelt, einen rhetorischen Rassisten machte, ist der Kampf vom ersten Satz an entschieden. Das Böse, Fremde und Blasphemische triumphiert unweigerlich. Zwar enden die fischähnlichen Wesen in Shadow over Innsmouth im Konzentrationslager. Die Pointe aber ist, daß der Erzähler selbst dazu gehört - die Erbanlagen brechen durch, ihm wachsen Schwimmhäute, und er entkommt in ein ewiges Leben unter Wasser. Der Idealfall einer Identifikation mit dem Angreifer.

Die rassische Erlösung jedenfalls bleibt in Lovecrafts Erzählungen aus und macht sie als faschistische Propaganda unbrauchbar. Dem imperialen Traum stellt er seinen Alptraum vom globalen Verfall entgegen.

Uwe Ruprecht

H.P.Lovecraft: „Azathoth“, „Berge des Wahnsinns“, „Cthulhu“, „Das Ding auf der Schwelle“, „Der Fall Charles Dexter Ward“, „Das Grauen im Museum“, „In der Gruft“, „Die Katzen von Ulthar“, „Stadt ohne Namen“, „Lovecraft-Lesebuch“, Suhrkamp Taschenbuch

H.P.Lovecraft: „Unheimlicher Horror. Das übernatürliche Grausen in der Literatur“, Ullstein Taschenbuch

H.P.Lovecraft/August Derleth: „Die dunkle Brüderschaft“, Suhrkamp Taschenbuch

Lyon Sprague de Camp: „Lovecraft. Eine Biografie“, Ullstein Taschenbuch

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