■ Schöner Leben: Krankheit!
Alle sprechen zum Jahreswechsel von Gesundheit. Wir sprechen von Krankheit. Also vom Leben.
Psst! Hans-Joachim liegt im Bett. Milde lächelt sein Antlitz, das nie so rosig aussah wie heute. Hans-Joachim ist krank. Es könnte noch einige Tage dauern. Er liest Bücher über die 70er Jahre.
Gesunde Menschen sind dumm. Sie wissen nichts. Nicht einmal, daß sie gesund sind. Also sind sie nicht einmal gesund. Kranke hingegen: Sie wissen, daß sie prinzipiell immer krank waren und nie aufhören werden, krank zu sein. Das Leben ist eine Kette sich ablösender Krankheitserfahrungen mit selbstvergessenen Pausen, in denen wir uns gesund fühlen sollten, uns in Wahrheit aber gar nicht fühlen. Der Kranke fühlt sich, aber wie. Nehmen wir das Gliederreißen. Wir spüren jede Faser des Körpers, können dem Schmerz bis in die Haarspitzen folgen, und wo sich die Schmerzen türmen, herrscht mindestens Krebs. So wehen uns Ängste an, peitschen uns Fieber, jagt uns Pulssausen, dann kommt ein Arzt und sagt „Grippe“.
Ärzte , Politiker, Eltern (Ausnahme: Lehrer): Mein Lebtag habe ich mich gefragt, wie es erwachsene Menschen hinkriegen, immerfort aufrecht auf zwei Beinen im Leben zu stehen wie zum Kampf. Jedesmal wenn ich mich ansah, lag ich auf der Nase. Neulich fragte ich den Arzt, den ich angebe, wenn ich nach meinem Hausarzt gefragt werde: „Warum sind Sie niemals krank – bei den Bakterien um Sie herum?“ Er sagte: „Stille Feiung!“ Ein ebenso schönes wie wunderliches Wort. Zu schön, wie sich herausstellte. Später rückte er mit der Wahrheit raus: Antibiotika plus Schmerzmittel. Zack!
Die Erwachsenen haben für mich ausgeschissen. Jetzt wo ich ihren Trick kenne. Unkranke! Fürs neue Jahr plane ich einige ausgiebige Krankheiten mit strenger Bettruhe. Und noch strenger will ich darauf achten, niesenden Menschen keine Gesundheit mehr an den Hals zu wünschen. Ein gesundes 1995: Das wäre wie nicht gelebt!
Burkhard Straßmann
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