■ Schöner Leben: Am Urinal (2)
Neben der unlängst an dieser Stelle formulierten Frage, warum denn am Urinal neben dem Harndrang derjenige so virulent sei, die Schamhaare des Vorgängers zu beseitigen, verdient eine andere Beachtung. Ja, drängt sich förmlich auf: Wie funktioniert die unsichtbare Weiche, die einen Teil der Urinal-Kundschaft eben nicht an die Becken treibt, sondern in die schützende Kabine? Wir bieten aus ziemlich wissenschaftlicher Sicht einmal folgende Thesen an.
1) Scham. Seinen gemeinhin als edelsten verschrienen Körperteil öffentlich (wenn auch im schmuddeligen Feuchtraum) bloßzulegen, ist nicht jedermanns Sache. Denn prüfende Seitenblicke – scharf wie ein Metermaß – wollen ausgehalten sein. Bzw. vermieden werden.
2) Hygiene. Ein undelikates Thema, vor dem aus wissenschaftlicher Sicht aber niemand die Augen (und Nasen) verschließen darf. Untenrum wird auch geschwitzt, besonders in diesen heißen Tagen und Nächten. Doch ist zu vermuten, daß es der eine oder andere mit der Intim-Hygiene nicht ganz so genau nimmt. Oder ahnt, daß der Urinal-Nachbar das ahnen könnte. Dann gilt These 1).
3) Platzangst. Ja, freilich, in der Kabine ist es auch oft so eng, daß die einengenden und auf den Urinierenden eindrängenden Wände als versuchte Körperverletzung ausgelegt werden können, doch es sind Wände, keine Ellenbogen oder vom Harndrang getriebene Fluten, wie sie zum Beispiel regelmäßig im Kino nach Filmende in die Urinale schwappen. Es soll Besucher geben, die aus diesem Grunde auf Flüssigkeitsaufnahme im Kino verzichten (honorarfreier Hinweis an Kinobetreiber: Baut die Toiletten aus!).
4) Ästhetik. Liegt es nicht auf der Hand? Erst fläzen sie sich an der Theke, Hocker an Hocker, Bier an Bier einschüttend, dann – in rhythmischer Folge – sieht man sich wieder am Urinal, Bier an Bier ausschüttend. Und die Duftsteine, die in den Sieben liegen und sich verzweifelt bemühen, gegen die Wasserlasser anzuduften, schweigen dazu.
5) Haltung. „Please, take a seat!“ hieß es verschämt auf englisch im Bad einer Studienkollegin des Verfassers. Und das geht ja wo beim besten Willen nicht? Eben – am Urinal.
Dr. Alexander Musik, alle Kassen
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