■ Schnittplatz: Ruhig Blut!
Das blonde Covergirl auf der Titelseite des Fernsehmagazins TV-Movie freute sich lachend: „Jetzt kann jeder Sex und Gewalt im TV verbieten. Lesen Sie mal, wie einfach das geht.“ Im Chefkommentar der jüngsten Ausgabe des im Heinrich-Bauer-Verlag erscheinenden Hochglanzmagazins standen dann die betroffen machenden, grammatisch aufs furchtbarste entstellten „Fakten“: „Ein blutverspritzender Mord zwischen Grabsteinen. Schädeldecken öffnen sich durch ,fliegende Korkenzieher‘, und Hirnmasse quillt heraus. ,Höhepunkte‘ in ,Das Böse‘. Ein Film, der auf Video 1991 bereits beschlagnahmt wurde. Der aber erst kürzlich bei RTL lief.“
Das ist schlimm, sehr schlimm, zumal „bis zu 500.000 Kinder unter 14 Jahren“ um diese Zeit noch in „die Gruselglotze“ schauen. „Aber der Zuschauer will doch Spannung“, greinen zwar noch namenlose TV-Verantwortliche; TV-Movie, wie im übrigen auch die Hör Zu und andere Volksempfängermagazine, weiß es besser: Eine „repräsentative Umfrage“ von TV-Movie (das ein paar Seiten weiter für Beate-Uhse-Pornos wirbt) habe ergeben, „daß die eindeutige Mehrheit der Zuschauer (69 Prozent) gegen zu viele Gewalt- und Sexszenen ist“.
Doch Fernsehzuschauer seien zum Glück „nicht ohnmächtig“. „Gegen zuviel Gewalt und Porno können Sie einiges tun. Schreiben Sie an das nächste Jugendamt oder an Elke Monssen-Engberding (41), die Chefin der ,Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften‘ (BPjS) und schicken Sie gleich eine Videoaufzeichnung des Films mit.“ Schließlich erhalte die „Juristin mit evangelisch-konservativer Bildung“ im Jahr nur 20 Indizierungswünsche von TV-Zuschauern. Wer sich jedoch denunziationsfreudig auf die Suche nach den bösen Hard-Core- Stoffen im Fernsehen begibt, wird regelmäßig enttäuscht: Daß es mit der Porno-Show nichts werden würde, war zwar abzusehen – Filme wie „Das Wirtshaus der sündigen Töchter“, „Der scharfe Heinrich“, „Drei Lederhosen in St. Tropez“ etc. entsprechen durchaus der infantilen Vorstellungswelt zehnjähriger Spätgucker. Wirklich enttäuscht ist man jedoch, wenn man sich voller Vorfreude auf die TV-Horrorschiene begibt. Großartige Werke des Genres wie Dario Argentos „Opera“ zum Beispiel, das kürzlich in der ARD zu sehen war, sind in ihren erhabenen Gewaltszenen derartig zerschnippelt, daß weniger Blut übrigbleibt als in beliebigen „Tatort“- Krimis. Und wer sich grimmig in das Horrorprogramm der Privaten einschaltet, wird alle zwanzig Minuten durch diverse Werbeblöcke aus der Illusionswelt reinigender Ängste in die Warenwelt allseitiger Verfügbarkeit gestoßen.
Auch in den Videotheken wird man die Filme meist vergeblich suchen, die einst den künstlerischen Ruf des Splatter- und Horrorgenres begründeten: „Texas Chainsaw Massacre“, „Das Haus an der Friedhofsmauer“ usw. Was man findet, genügt im allgemeinen den Sauberkeitskriterien von Bundesprüfstelle und Freiwilliger Selbstkontrolle (FSK), nach denen Blut nur sinnvoll zu fließen hat: um die Kleinfamilie zu retten oder gleich die ganze Welt. Gegen die mittlerweile auf allen Kanälen zu begutachtende Nazifilmflut hat im übrigen niemand etwas einzuwenden. Detlef Kuhlbrodt
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