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Schluss mit der GrabesstilleDer Erlebnisfriedhof

In Prenzlauer Berg wird ein Friedhof zum Park umgebaut - die Anwohner wollten das so. Ein Besuch mit dem Pfarrer zwischen Spielgeräten und Grabsteinen.

Nicht Stille, sondern Sean Penn schwebt über dem Friedhof. Bild: dpa

Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, und über den Friedhof scheppern die Beats von Sean Paul. Ein paar Bauarbeiter, die gerade die letzten Lücken in der alten Mauer schließen, haben ihr Radio voll aufgedreht. Auch wenn das angesichts der Grabsteine unpassend erscheint, die vereinzelt zwischen frisch gesätem Rasen, Büschen und hohen Bäumen stehen – besser kann man die friedlich daliegende Grünfläche wohl nicht vorbereiten auf das, was sie ab 1. Juni erwartet: Dann wird der einstige St.-Marien- und St.-Nikolai-Friedhof an der Heinrich-Roller-Straße in Prenzlauer Berg als Park eröffnet. Als einzige Grünanlage des Winskiezes zwischen Prenzlauer Allee, Greifswalder und Danziger Straße dürfte er einen gewaltigen Ansturm zu bewältigen haben.

An diesem Freitag ist das Eingangstor fest verschlossen: Das Gras soll noch ein wenig wachsen können. Jürgen Quandt nutzt die Gelegenheit, ein letztes Mal in aller Ruhe über das Gelände zu streifen. Der pensionierte Pfarrer, der Jackett zu Jeans und eine filigrane Hornbrille trägt, war vier Jahre lang für das Gelände zuständig, bevor es die Gemeinde im vergangenen Jahr an den Bezirk Pankow verkaufte und damit den Weg zum Park ebnete.

Verwunschen liegt der alte Friedhof da. Zwar sind die Wege akkurat mit hellem Kies ausgestreut worden, neben dem Rasen wurden auch ein paar Blumen gepflanzt. Aber die hohen alten Bäume, die Sträucher und der Efeu, die sich hier jahrzehntelang frei entfalten konnten, sind größtenteils geblieben. Auch einige Grabsteine wurden zur Erinnerung an die Geschichte des Geländes stehen gelassen. Dass hier 400.000 Euro aus dem Programm „Zukunftsinitiative Stadtteil“ sowie aus dem Bezirkshaushalt investiert wurden, mag man auf den ersten Blick kaum glauben.

Erst als Quandt beim unscheinbaren schwarzen Grabmal des Ehepaars Frost schräg vom Hauptweg abbiegt, wird der Blick frei auf eines der Spielgeräte, in die ein Großteil des Geldes geflossen ist – überdimensionale Hängematten aus Holz und Gummi. „Die Leute wollten, dass hier ein Ort entsteht, der seine Vergangenheit nicht verleugnet, auf dem die Kinder aber trotzdem nicht auf Zehenspitzen laufen müssen“, sagt Quandt. „Ich finde, das ist ganz gut gelungen.“

Zuvor viel Ärger

Die Leute, das sind die Mitglieder der Bürgerinitiative Rollerfriedhof, und nicht immer hatte Quandt so viele gute Worte für sie übrig. Schließlich haben sie ihm und der ganzen Gemeinde viel Ärger bereitet, als die vor vier Jahren das Gelände an einen Investor verkaufen wollte. Den Anwohnern, die den 1858 gegründeten und seit 1970 stillgelegten Friedhof längst als Park nutzten, passte das gar nicht – doch die verschuldete Gemeinde stand unter Zugzwang. Drei Jahre später erreichte die Initiative, dass der Bezirk das 15.000-Quadratmeter-Areal erwarb. Gut ein Drittel davon wurde nun umgestaltet. Der Rest soll folgen, sobald Geld dafür zur Verfügung steht.

Quandt schlendert bedächtig durch den fertiggestellten Abschnitt, dem Schüler der benachbarten Grundschule den offiziellen Namen „Leise-Park“ verpasst haben. Neben einem neuen hölzernen Schwebebalken wurden einige alte Grabsteine umgelegt, Kinder werden darauf balancieren können. Es sieht ein wenig aus wie eine Miniaturfassung des Holocaust-Mahnmals, auf dessen Stelen ja auch schon Touristen picknicken. Der Pfarrer zuckt leicht resigniert mit den Schultern. „Das ist dann wohl als Spielmöglichkeit gedacht“, sagt er.

Auch wenn er sich kein kritisches Wort entlocken lässt – ganz glücklich macht ihn die Nachnutzung offensichtlich nicht. Mit Friedhöfen als Ort der Totenruhe kann er umgehen. Als Erlebnisspielplatz sind sie ihm nicht geheuer. Dabei weiß er selbst, dass Berlins Friedhöfe keine Zukunft haben, zumindest nicht in der jetzigen Dimension. „Über 40 Prozent der Flächen werden nicht mehr gebraucht“, sagt Quandt.

Grund dafür ist das veränderte Beisetzungsverhalten. Während sich früher die Mehrheit der Berliner in Särgen beerdigen ließ, werden heute Urnen bevorzugt. Und die brauchen weniger Platz. „Die Gemeinden sind damit überfordert, Flächen zu bewirtschaften, die keine Einnahmen abwerfen“, sagt Quandt. Auch bräuchten sie die Erlöse aus deren Verkauf, um die verbliebenen Bestattungsorte zu erhalten. „Uns fehlt schlicht das Geld, um das Kulturgut Friedhof zu bewahren.“

Ein Problem, das auch die Politik erkannt hat. Vor acht Jahren beschloss der Senat einen Friedhofsentwicklungsplan, der festlegt, welche Flächen abgewickelt werden sollen und ob aus ihnen Park oder Bauland wird. Über den St.-Marien- und St.-Niko- lai-Friedhof an der Heinrich-Roller-Straße vermerkt der Plan „Sonstige Nutzung kurzfristig“. Eine schnelle Abwicklung und Bebauung wären kein Problem gewesen. Auf der einen Seite keine schöne Vorstellung, wenn Omas Grab einer Tiefgarage weicht. Auf der anderen Seite ein klarerer Schnitt, als wenn nun die Kinder des Prenzlauer Bergs auf ihren Gebeinen herumtollen.

„Das ist ein ganz sensibler Punkt“, findet auch Pfarrer Quandt. Über einhundert Jahre lang seien hier Menschen beerdigt worden. „Auf ein paar tausend Gräber kommt man da schon.“ Rein rechtlich ende die ewige Ruhe in Deutschland aber nach 30 Jahren, danach könnten die Grabflächen neu vergeben oder das Gelände anderweitig genutzt werden. „Auch der rechtliche Anspruch auf Umbettung ist nach Ablauf der Liegefristen verwirkt“, erklärt Quandt. Plötzlich wird aus dem Rentner, der sich ein weniger zögerlich über den einstigen Friedhof bewegt und skeptisch Klettergerüste begutachtet, der Mann, für den die Verwaltung des Todes zum Geschäft gehört.

Menschliche Knochen

„Die sterblichen Überreste sind hier in der Erde geblieben, das ist immer so“, erläutert er. Geborgen und „nachbeigesetzt“ würden Gebeine nur, wenn man sie bei Erdarbeiten auffinde. So laufe es etwa am Petriplatz in Mitte, wo auf dem einstigen Friedhof der Petrikirche gebaut wird. Knapp 80 Kubikmeter „Streuknochen“ seien dort bislang geborgen worden und warteten nun in einer Friedhofskapelle auf die Nachbeisetzung in einem Sammelgrab. „Die Grabsteine wandern in den Schredder und werden später etwa im Straßenbau wiederverwertet“, erklärt Quandt weiter. „Wir sind froh, wenn wir für die Entsorgung nicht noch bezahlen müssen.“

Der menschliche Knochen als schnöder Abfall, der im schlimmsten Fall einfach nicht verrotten will – endet so die Geschichte eines Friedhofs? Zumindest an diesem sonnigen Freitag fühlt es sich nicht so an. Vielleicht ist es nur der eingeübte Reflex beim Anblick von Grabsteinen– aber noch scheint das Gelände seine besinnliche Aura nicht verloren zu haben. Weder der hölzerne Aussichtsturm für Kinder noch die Fahrradständer, auch nicht die laute Musik aus dem Bauwagen können sie vertreiben. Hier herrscht noch ein besonderer Geist. Zumindest, bis die ersten Besucher kommen.

Denn dass die Anwesenheit von Grabsteinen junge Frauen nicht davon abhält, sich im Bikini danebenzulegen, ist seit Jahren auf dem Friedhofspark an der Pappelallee zu beobachten. Auch gegrillt wird dort gern, trotz Verbot. „Die Bürgerinitiative hat versprochen, dass es hier anders läuft“, meint Quandt. Für die Atmosphäre des Parks kann man nur hoffen, dass sie sich durchsetzen kann.

Der Pfarrer muss sich diese Sorgen nicht mehr machen – auf ihn warten schon neue Aufgaben. Der südlichste Teil des St.-Marien- und St.-Nikolai-Friedhofs etwa, der immer noch der Gemeinde gehört und an die Eigentümer der anliegenden Häuser als Gartenfläche verkauft werden soll. Oder der Erhalt der denkmalgeschützten Erbgrabstätten auf dem benachbarten Georgen-Parochial-Friedhof, dessen Zukunft noch nicht abschließend geklärt ist.

Quandt muss los. Am Eisentor wimmelt er noch zwei Jogger ab, die in der offenen Pforte die Möglichkeit entdeckt haben, ihre Laufroute zu erweitern. Ein letztes Mal kann er noch den Hausherrn geben. Dann zieht er das Tor zu. Für ihn und den Friedhof war es das dann. Um den Leise-Park sollen sich andere kümmern.

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5 Kommentare

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  • A
    anwohner

    @chrisfre

    naja das es sich um teile eines alten friedhofes handlet steht ja im text. und so weit ich es weiss, wurde durch den park immerhin eine tiefgarage mit bebauung vermieden.die stadt wird also nicht noch weiter zu betoniert.die ökonomisierung sehe ich da nicht wirklich.

     

    es gibt auch einen blog zu dem thema

    http://bi-rollerfriedhof.blogspot.de/

     

    zum thema rentabilität von friedhöfen fällt mir jetzt allgemein nicht so viel ein, außer mit einem nicht ganz ernsthaften "gestorben wird immer" zu antworten.

     

    und konkret zu den beiden friedhöfen der nicolaigemeinde, bietet sich wahrscheinlich nur eine kombination aus denkmal-,natur und kulturschutz an. das wäre dann aber auch vermutlich eine sache die über den senat laufen müsste.

     

    alles gute

  • C
    chrisfre

    Zumindest mal historische Fakten zum Ort:Dieser fünfte von insgesamt sechs Friedhöfen der Gemeinden der Nikolaikirche und der Marienkirche wurde am 27. Juli 1802 vor dem Prenzlauer Tor eröffnet. Bis 1847 wurde die Anlage auf etwas über 3,5 Hektar ausgedehnt. Bereits 1858 erwarben die Gemeinden unweit, in der Prenzlauer Allee Nr. 7, erneut ein Grundstück und richteten dort den Neuen Friedhof, auch als Friedhof II der St. Nikolaiund St. Mariengemeinde bezeichnet, ein. Die frühen Erweiterungen des alten Begräbnisplatzes erfolgten 1814 und 1823 durch den Stadtbaurat Carl Ferdinand Langhans. Er gestaltete ein Wegesystem, das sich – entsprechend dem bürgerlichen Zeitgeschmack – am Konzept einer Parklandschaft orientierte. Noch heute rahmen alte Birken- und Lindenalleen die Wege des Friedhofs. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden zu Ungunsten zahlreicher Grabmale wiederholt Abräumarbeiten für Neubelegungen durchgeführt, viele wertvolle Grabzeichen und Gittergräber gingen dabei für immer verloren. Nach einer Stilllegung im Jahre 1970 wurde die romantisch verwilderte Anlage 1995 nach Verhandlungen mit dem Berliner Senat wieder eröffnet. Seitdem ist insbesondere die sogenannte Ostwand Bestandteil von umfassenden Restaurierungsmaßnahmen, da sich hier eine fast geschlossene Reihe von Wandgräbern und Mausoleen verschiedener Baustile – von strengstem Klassizismus über gotischklassizistische Mischformen bis zu neugotischen Wandgestaltungen – erhalten hat. Weitere kunsthistorisch bedeutende Einzelgrabanlagen befinden sich am Weg der Quertrasse, außerdem verfügt der Friedhof über zahlreiche Eisengussgrabmale aus der Zeit vom Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Beachtenswert sind auch das 1913 von dem Architekten Max Hasak entworfene Eingangstor zur Prenzlauer Allee mit einem Hochrelief des Bildhauers Ernst Wenck, das den Weg des Menschen von der Geburt bis zum Tod darstellt, sowie die 1863 eingeweihte, neugotische Friedhofskapelle mit Leichenhalle.

  • C
    chrisfre

    @anwohner Sie unterschlagen in ihrer Darstellung, dass es nicht nur um einen neuen Park, sondern auch um einen alten Friedhof geht, zumal um den traditionsreichen der Nicolaigemeinde. Soll es denn jetzt unter dem Diktat der

    Ökonomisierung Ihrer Meinung nach alte "unrentable" Friedhöfe

    nicht mehr geben?

  • C
    chrisfre

    Da ich weiß, wie sehr sich Jürgen Quandt in seinem schwierigen

    Job immer um Konsenslösungen bemüht, kann ich seine Resignation gut verstehen: Ökonomisierung allerorten und Säkularisierung lassen Oasen der Stille und des Gedenkens verschwinden. Es gibt genug laute Orte in Berlin, genug Eventgetöse. Was Kinder auf dem Friedhof unter Anleitung

    alles erfahren und erleben können, ist unter efeu.ev nachuzulesen, einem Verein, der ein breites Angebot für Bersucher bereit hält: auf dem alten St. Matthäi-Kirchhof. Und: Dies in der gebotenen Pietät und ohne dass die Aura des Orts zerstört wird.

  • A
    anwohner

    wir freues uns auf den neuen park.es scheint mir eine gute lösung zu sein.so bleibt die straße auch ein ganze ecke heller, was natürlcih vorallem die direkt gegenüber der park-/friedhofsmauer liegenden Anwohner(zu denen ich nicht gehöre) freuen dürfte, da sie jetzt ihren freien blick in eine grüne oase mitten in der stadt weiterhin genießen können.es sei ihnen gegönnt.dafür kann ich unbedingt nur jedem einen spaziergang über die beiden Friedhöfe der Nicolai-Gemeinde empfehlen.das ist wirklich eine schöne und entspannende natur und zeitreise