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Schlechte Aussichten für die UN: Maximalforderungen sorgen Schon am Frühstückstisch für StressWiderstand gegen die Ökodiktatur

Wir retten die Welt

von

Hannes Koch

Meine 18-jährige Tochter ist streng. „Du sollst nicht die Heizung anmachen“, herrscht sie ihren 15-jährigen Bruder an, „es ist erst Mitte September“. Mein Sohn läuft gern barfuß und im T-Shirt herum, unabhängig von der Jahreszeit. „Der Sommer ist vorbei, mir ist kalt“, sagt er. „Dann zieh einen Pullover an“, klingt es schneidend von der anderen Seite des Küchentisches. „Wir haben doch Ökostrom“, versucht er eine Gegenwehr. Da könnten wir ruhig ein bisschen mehr Energie verbrauchen. Die Replik kommt gnadenlos: Tatsächlich heizen wir mit Erdgas, Klimaschaden inklusive.

Der Erfolg bringt meine Tochter in Fahrt. Zwei Liter Milch habe sie kürzlich gekauft. „Am nächsten Tag waren die schon weg.“ Ja, räumt mein Sohn ein, schon ziemlich genervt, den einen Liter habe er ex getrunken, der andere kam ins Müsli. „Voll die Verschwendung!“, findet die Schwester. Und dann noch der Mangosaft, den er ständig konsumiere. „Halt“, interveniere ich, „der ist aus fairem Anbau.“ Und der Dünger und der Transport, fragt sie, ob wir da mal dran gedacht hätten? Wir sollten Wasser trinken, das habe einen geringeren ökologischen Fußabdruck als Milch und Mangosaft.

Wieso sie nicht ausschließlich trockenes Brot vom heimischen Getreidefeld verzehre, ätzt nun mein Sohn zurück. Und wenn es bei uns schon keine Wurst mehr zum Frühstück gebe, dann wolle er mindestens Milch trinken. Zu irgendwas müssten die Kühe ja gut sein.

Ein Argument, das ich nachvollziehen kann. Denn Maximalforderungen betrachte auch ich mit gemischten Gefühlen – wie etwa die Ziele für nachhaltige Entwicklung, die die Vereinten Nationen an diesem Wochenende in New York beschließen. Eine Forderung des Katalogs, der bis 2030 Wirklichkeit werden soll, lautet „nachhaltige Konsummuster“. Wer das ernst nimmt, muss sein Leben radikal ändern – kein Fleisch essen, nicht Auto fahren, kaum Müll produzieren. Wie soll das funktionieren, will ich das wirklich? Wobei dennoch das alte Revoluzzer-Motto richtig bleibt: Sei realistisch, verlange das Unmögliche. Denn nur wenn die Latte hoch liegt, kommt es überhaupt zu Fortschritt.

In diesem Sinne versucht meine Tochter, die Utopie in die Praxis umzusetzen. Nach unserer Debatte geht sie mit ihrer besten Freundin containern – also Lebensmittel aus dem Abfall bergen, die noch verzehrbar sind. In der Nacht springt mein sauberer Nachwuchs also in Abfallbehälter von Kreuzberger Supermärkten, um später schmierig wieder daraus hervorzukriechen. Ich erwäge, eine Industrie-Waschmaschine für besonders schmutzige Kleidung anzuschaffen, Stromverbrauch hin oder her.

Jedenfalls rettet sie in dieser Nacht einiges Obst, elf Joghurts, die am nächsten Tag ablaufen, zwei Brote und einige ­altersschwache Biomöhren. Die sollen wir zum Frühstück essen. Hinter dem Rücken meiner Tochter verfüttere ich sie aber an die Meerschweinchen. Das erfährt sie erst jetzt. Und am nächsten Tag kaufe ich mal wieder eine schöne dicke Gelbwurst.

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