■ Schlagloch: In jedem von Ihnen sitzt schon wer Von Nadja Klinger
„Ach, waren das Zeiten!“
Heinz Quermann über
seine Jahre vor 1989 in
„Super Illu“ vom 22.2. 1996
Frage an alle, die schon immer im Westen Deutschlands gelebt haben: Wer ist Heinz Quermann?
Sie dürfen passen. Quermann ist von vor Ihrer Zeit.
Er ist ein untersetztes Männchen, das vor 1989 im Fernsehen und im Rundfunk der DDR ununterbrochen seinen Senf dazugeben und dumme Sprüche machen durfte. Nach der Wende ist die Unterhaltungsbranche schließlich ohne ihn ausgekommen. Wenn er heute noch einmal gefragt wird, dann erzählt Heinz Quermann so lange, bis er unterbrochen wird. Sein Leben sind Geschichten darüber, wie einer die DDR geschickt unterwandert und sie gleichzeitig so schön gemacht hat, wie sie war.
Er ist eben ein Ostler, werden Sie sagen.
Als erster Ostler hat Heinz Quermann nach der Wiedervereinigung von Ihnen einen Platz im Panoptikum am Berliner Ku'damm bekommen. Beim Modellsitzen ist er unter der Wachsmaske eingeschlafen. Deshalb sieht seine Larve ziemlich grimmig aus. Ein typischer Ostler, werden Sie denken, wenn Sie ihn so sehen.
Wenn Sie das für sich behalten, so will ich es Ihnen nicht übelnehmen. Denn sie hatten nie das Fernsehprogramm, in dem Quermann einer der Höhepunkte war. Sie wissen nicht, wie es ist, Quermanns Zuhörer zu sein. Sie können sich kein Urteil erlauben, und deshalb schweigen Sie! „Historisch Unmögliches können wir nicht leisten“, würde Egon Krenz dazu sagen.
Vielleicht meinen Sie aber auch, mitreden zu können. Sie brauchen die Mühen der Geschichte nicht, um eine neue Zeit zu verstehen. Sie sind dem vereinten Deutschland ein ganzes Stück voraus. Dann haben Sie sicher längst den Prozeß gegen sechs Politbüromitglieder in Moabit oder das Strategiepapier „Identitätsgewinn im Aufbau Ost“ des Schweriner CDU-Fraktionsvorsitzenden Eckhardt Rehberg zum Anlaß genommen, wieder einmal über den Osten und den Westen an sich zu debattieren. Und wie ich Ihre Diskussionsbeiträge kenne, sind das in der Mehrheit alles Geschichten, wie sie Quermann erzählt. Viele Worte werden bemüht, um nichts zu beschreiben.
In der Wochenpost bescheinigen Sie Eckhardt Rehberg Mut. Er trete gegen die Dampframme Kohl an. „Im Westen traut sich das nicht einmal die erste Garde.“ Vielleicht aber hat man in Schwerin nur noch nicht begriffen, daß eine Westpartei einem nicht die Identität schenken kann?
In der Zeit bemühen Sie, ebenso wie das Gericht in Moabit, den „Großen Brockhaus“, um dahinterzusteigen, was eigentlich ein Politbüro ist. Die Angeklagten im Gerichtssaal bestreiten, daß es mit der Macht so war, wie es dort steht. Sie erzählen von ihren besten Absichten. In der Zeit steht: „Bisher haben alle dasselbe gesagt.“ So ist es. Sie sind dicht am Problem. Machen Sie was draus! Aber Vorsicht mit dem Lexikon!
Ich frage mich immer, ob ich wirklich so bin wie die Ostler, von denen in den Zeitungen die Rede ist. Vermutlich ja, denn genauer als durch ihre Herkunft sind sie selten gekennzeichnet. Dafür sind sie mit reichlich unbrauchbaren Charaktereigenschaften ausgestattet, etwa wie die Figuren eines Romans, dessen Ende der Autor noch nicht kennt. Er weiß nur, es wird kein gutes Ende sein.
In der öffentlichen Diskussion zum Thema Ost- und Westdeutsche werden vor allem die Unterschiede herausgekehrt. Diese Verfahrensweise läßt sich prima zum Feststellen von Schuld oder Unschuld erweitern. Jeder beansprucht für sich das, was ihm lieb ist, und weist den Rest von sich. Mit Hilfe der Damen und Herren Althaus, Anderson, Bertram, Böhme, Braband, Brie, Ducke, Fink, Gundermann, Gysi, Kant, Kuttner, Kutzmutz, Maron, de Maizière, Müller, Schnur, Stolpe, Wolf, Wollenberger haben wir bereits – abgesehen von deren individueller Schuld, die sie als vermeintliche Stasimitarbeiter haben – klare Fronten geschaffen.
„Sowenig es eine kollektive Schuld gibt, gibt es einen kollektiven Freispruch“, hält Götz Aly in der FAZ dem entgegen. Ins taz- Schlagloch der letzten Woche aber läßt er alle Ostler kollektiv hineinplumpsen. „Um die Erörterung historischer Details zu meiden“, schreibt er, empfehle der Schweriner CDU-Fraktionsvorsitzende Rehberg, „die Geschichtsschreibung über die DDR-CDU nicht etwa ,Außenstehenden‘ zu überlassen, sondern selbst aktiv in die Hand zu nehmen“. Sicher denken auch Sie so: Was man den Ostlern überläßt, geht nicht in Ordnung oder schief.
Nirgendwo aber haben Sie „Ostler“ bisher so ausreichend beschrieben, daß sich feststellen ließe, ob es überhaupt mehrere Menschen gibt, die gemeinsam unter diesem Begriff zu fassen sind. Und ob die sich von anderen Menschen unterscheiden.
Der in New York lebende Künstler Art Spiegelman hat die Geschichte des Holocaust nicht beschrieben, sondern gezeichnet. In seinem 300seitigen Comic sind Opfer und Täter Mäuse und Katzen. Er hat gesagt: „Um die Körpersprache, die Gesten zu zeichnen, mußt du dich in jede Figur hineinbegeben, auch in den Nazi. Das ist ein Teil des Lernprozesses. Nur so kann man von dem Geschehenen aus verallgemeinern und verstehen ... In jedem dieser Fälle mußt du verstehen – metaphorisch gesagt –, daß in dir ein Nazi sitzt, ehe du dich gründlich mit dem Juden identifizieren kannst.“
Damit Sie alle, die Sie schon immer im Westen Deutschlands gelebt haben und die Sie historisch Unmögliches leisten, über die Ostler urteilen können, will ich Ihnen helfen. Ich liefere Ihnen nur Details, die lassen sich aber besser zeichnen als jeder übergreifende Begriff.
Wir haben im Osten eine Menge, die die bunten Kaufhausauslagen wahllos am Leibe tragen und darunter nicht mehr zum Vorschein kommen. Das sind aber nicht alles Anzüge wie die, mit denen Markus Meckel und Rainer Eppelmann nach der Wende meinten, politische Klasse darzustellen.
Wir haben im Osten Menschen, die sich von anderen dadurch unterscheiden, daß sie sich für bedeutender halten. Und Menschen, die daran glauben, daß sie nur ein kleines Licht sind. Der Schriftsteller Thomas Brussig beschreibt sie in seinen Eltern. Seine Mutter öffnete jede Tür zunächst „einen Spaltweit und steckte den Kopf hindurch, neugierig und selig, als trete sie vor den Gabentisch. Sie nahm sich für einen Rundumblick zwei Sekunden Zeit, dann lächelte sie und öffnete die Tür so weit, daß sie eintreten konnte ... Mein Vater dagegen öffnete jede Tür so, als wollte er Geiseln befreien. Es kracht – und dann steht er da. Wenn er zum Feierabend nach Hause kam, konnte ich nie sicher sein, ob er die Wohnungstür aufgeschlossen oder eingetreten hatte“ (aus dem Roman „Helden wie wir“, 1995).
Wir haben im Osten viele, die sagen: „Ach, waren das Zeiten!“ Aber nicht alle sind untersetzt wie Heinz Quermann.
Es ist hart, aber Sie werden verstehen: All diese Ostler sitzen in Ihnen drin, damit Sie ein Westler sein können. Und was sitzt in mir? Bieten Sie!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen