■ Schlagloch: Wie frauenfeindlich können Frauen sein? Von Nadja Klinger
„Ich sehe meine Aufgabe als emanzipierter Mann darin, die Frauen zu Ungehorsam und Verweigerung zu ermuntern.“Ein Feminist
auf RTL, 22.4.1996
Ich war selbst noch keine Frau, da lernte ich, was eine Frau ist. Wäre damals in meiner Schule nach Leistung entschieden worden, hätten später nur Mädchen studiert. Also machte man einen Unterschied: Die Jungen brauchten keinen so guten Zensurendurchschnitt, um zum Abitur zugelassen zu werden. Ich hatte mit 1,0 das Nachsehen, weil mir mein Klassenkamerad mit 2,1 vorgezogen wurde.
Für das Jugendweihefoto unserer Schule wurden wir jungen Damen in die erste Reihe gestellt. „Stehen Sie, wie jetzt hier, auch später Ihren Mann“, sagte der Direktor zu den Jungen. „Und Sie Ihre Frau“, fügte er für uns hinzu.
In der Redaktion, in der ich später Volontärin war, ließ man mich nicht Sportjournalistin werden, denn da wäre ich zuviel unterwegs gewesen. „Meine Frau stehen“ und arbeiten – das ging in diesem Fall nicht zusammen.
Nur einmal habe ich erlebt, daß Frausein kein Hindernis für ganz große Aufgaben war. Ein Mann kam in die Redaktion und wollte Kolleginnen für die Kampfgruppe werben. Wir Frauen schwiegen ihn eisern an. In andere Äpfel durften wir nicht, aber in den sauren sollten wir beißen. Ich fühlte mich durch unser Schweigen erstmals mit Frauen verbunden. Doch als der Mann sich eine rauspickte und die sich vergeblich wehrte, merkte ich, wie alle anderen aufatmeten.
Erst als ich schwanger wurde, fühlte ich mich selbst als Frau. Nicht aus Nähe zum eigenen, sondern aus dem Unterschied zum anderen Geschlecht heraus. Mein ganzer Körper paßte sich dem an, was sich in mir ein Nest baute. Ich war eigensinnigem, fremdem Leben ausgeliefert. Ich ging zur Schwangeren-Konfliktberatung. Frauen in lila Zimmern nannten mich beim Vornamen. Ich erzählte mehr von mir, als ich sonst erzähle. Wir waren ja unter uns.
Auf einer Dienstreise lernte ich Cornelia Matzke kennen, 31, kinderlos, Feministin und für den Unabhängigen Frauenverband im sächsischen Landtag. Frau Matzke hatte zu DDR-Zeiten eine Westcousine, die ihr feministische Literatur über die Grenze geschmuggelt hat. In den Büchern hatte sie gelesen, daß der kleinste Mann in der Gesellschaft immer noch höher als seine Frau steht. Nun verteilte sie auf Leipzigs Straßen Handzettel über die diskriminierende Stellung der Frau in der Gesellschaft. Jedem Passanten schmetterte sie ein paar Worte entgegen. Die Männer nahmen die Zettel mit einem mitleidigen Lächeln, die meisten Frauen lehnten ab. „Die Frauen müssen zuerst sich selbst befreien und dann die Männer“, sagte Cornelia Matzke trotzdem und immer wieder.
Mittlerweile bin ich das zweite Mal Mutter. Ich bin total von einem Mann abhängig. Ich brauche sein Geld und seine Hilfe. Ich kann zur Zeit nicht richtig arbeiten und in den nächsten Jahren beruflich keine großen Sprünge machen. Ich bin auf Sozialgelder angewiesen. Ich muß mich ständig auf irgendwelchen Ämtern erklären.
In dieser Kolumne habe ich vor Wochen darüber geschrieben, daß die Abgeschiedenheit des Mutterdaseins mich trotzdem nicht frustriert, sondern eher bestärkt. Ich bin näher am Leben dran, als wenn ich im täglichen Leben drin wäre. Einige fanden den Text kitschig und larmoyant. Das habe ich erwartet. Andere aber verunsichern mich. Das sind die, die sagen, ich sei mutig. Und die, die meine Kolumne zum Anlaß nahmen, den Männern wieder einmal die Frauenfrage zu stellen.
„Weiter so“, sagte eine Kollegin zu mir, als seien wir mitten in einem Kampf. „Da hast du unsere Sache ja ganz schnell begriffen“, frohlockte eine der lila Frauen. „Wieder mal ein Lichtblick in Ihrem sonst meist nur männlichen Gedankenmief und -muff verbreitenden Blatt“, schrieb eine Leserin an die taz. Ehrlich gesagt ist meine Sache nicht unsere. Ehrlich gesagt habe ich den Mief nicht gerochen. Und eine Kolumne ist kein Lichtblick.
Ich denke an Cornelia Matzke und wie sie mich mit ihren Parolen ungewollt dazu gebracht hat, ihre Frauenprobleme nicht auf mich zu beziehen. Ich überlege, wie oft ich im Anschluß an die engagierte Rede einer Frau dieselbe habe sagen hören: „Ich bin aber keine Feministin.“ Sehr oft. Ich habe öffentlich über mein Muttersein geredet, und das ist etwas Besonderes. Aber warum? Weil Frauen so selten öffentlich über Muttersein reden. Selber schuld.
Ich denke an das Schweigen meiner einstigen Kolleginnen in der Redaktion und daran, daß ich seitdem vergeblich auf der Suche nach Solidarität unter Frauen bin. Frauen fühlen sich eher ihren Berufskollegen zugehörig als anderen Frauen. Sie gehören zu einer sozialen Schicht, zu einem Wohngebiet, zu einer Familie. Sie verteidigen nicht das Geschlecht, sondern eher ihren Besitz. Wenn Frauen in den Lauf der Dinge verändernd eingreifen, dann auf die Art, wie es an ihrer Stelle ein Mann getan hätte. Er wolle Frauen zu Ungehorsam und Verweigerung ermuntern, sagte der Feminist auf RTL. Nicht einmal die Frauenbewegung muß also von Frauen initiiert werden.
Emanzipierte Frauen und Feministinnen haben viel weniger die anderen Frauen als vielmehr die Männer im Blickfeld. Wenn sie sich zu Wort melden, suchen sie mit Blitz und Donner die Auseinandersetzung mit dem anderen Geschlecht. Ihr Stil ist polemisch. Jedes Argument schreit nach einem Gegenargument. Vor allem das eigene Geschlecht zieht die Köpfe ein. Es bleibt verschont. Denn wie das bei Gewittern so ist, sie ziehen vorüber. Und die Energie ist verpufft. Warum stauen engagierte Frauen so viel Frust an? Warum gelingt es Männern, Mütter auf „Käseauflauf und Stinkesocken“ (Ute Scheub, taz 30.1. 1996) zu reduzieren? Warum suchen Frauen ihre „eigene Sprache als Mutter“ (dieselbe) in Büchern und erfinden ansonsten so viele Begriffe, anhand derer sie sich untereinander entzweien? Kurz nach besagter Kolumne machte ich mich in einem Feuilleton über einen Vergewaltiger lustig, der sich in unserem Wohngebiet rumtrieb. Blitz und Donner signalisierten mir nach der Veröffentlichung, ich sei frauenfeindlich. Dabei war ich eben noch eine mutige Emanze.
Wie frauenfeindlich kann eine Frau sein? Ist sie sehr frauenfeindlich, wenn sie findet, daß Väter viel ärmer dran sind als Mütter, weil sie nicht bei den Kindern sein können? Ist sie sehr frauenfeindlich, wenn sie findet, daß Muttersein eine intime, also auch Privatangelegenheit ist? Ist sie frauenfeindlich, wenn sie sich in Abhängigkeit von einem Mann begibt?
Ich versuche, gegen das Frauenfeindliche in mir anzugehen. Das große I in Wörtern, die Männlein wie Weiblein meinen, geht mir gut von der Hand. Doch lese ich noch einmal Korrektur, dann fehlen dreimal so viele Is, wie ich gesetzt habe. Nehme ich es schließlich ganz genau, dann sind meine Texte nur noch ein einziges I. Sprache drückt aus, wie man denkt. Soll ich bei der Sprache anfangen zu verändern? In der Zeit, in der ich große Is einsetze, beschäftige ich mich lieber mit meinen Töchtern. Vielleicht verändert sich mit denen später die Sprache von allein.
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