■ Schlagloch: Der elektronische Schäferhund Von Klaus Kreimeier
„Bei Näherkommen wird
das Bellen aggressiver!“
Aus der Anzeige einer
Kölner Elektrofirma
Zum Stückpreis von 178 Mark, zuzüglich 9 Mark Versandkosten können Sie einen elektronischen Schäferhund erwerben. Sie brauchen nur das dicke, schwarze JA auf dem Bestellzettel anzukreuzen: „Ja!“ sollen Sie ausrufen, „ich bestelle hiermit per Rechnung 1 Stück elektronischer Schäferhund, Garantie 1 Jahr, zur sofortigen Lieferung an meine Adresse.“ Unterschreiben, abschicken und mit größerer Zuversicht ins Leben und in die Zukunft unseres Landes blicken: Nun kommt ja bald der elektronische Schäferhund.
Was ist ein elektronischer Schäferhund? Er ist, sozusagen qua Natur und von Hause aus, ein Freund der gesitteten Menschen, die einen Besitzstand zu verteidigen und auch sonst ein geordnetes Weltbild haben. Daher hat man ihn weitgehend und erfolgreich dem in der Zoologie geläufigen ebenso wie aus Politik und Zeitgeschichte bestens bekannten deutschen Schäferhund nachgebildet. Der deutsche Schäferhund – das lange Zeit unerreichte Vorbild des elektronischen Schäferhunds. An dieser Genealogie gilt es festzuhalten, auf daß der Sinn für Maß und Ziel, für Strukturen und Proportionen in der Geschichte erhalten bleiben.
Mit dem elektronischen Schäferhund nun haben wir den Idealzustand des naturidentischen Schäferhunds erreicht. Den Begriff „naturidentisch“ finden Sie zum Beispiel auf den Plastikbehältern vertrauenswürdiger Milchprodukte, mit denen der elektronische Schäferhund gemeinsam hat, daß er, als Industrieprodukt auf Naturbasis, die Vorteile des Animalischen mit denen einer hochentwickelten technisch-naturwissenschaftlichen Zivilisation verbindet. Ganz im Gegensatz zu irgendeinem dahergelaufenen Dackel bellt der elektronische Schäferhund laut Betriebsanleitung „wie ein scharfer Schäferhund“.
Mit anderen Worten: Der elektronische Schäferhund ist eine durchaus gelungene Kreuzung aus Hightech-Spielzeug, Hitlers Blondi und Bundesinnenminister Kanther beziehungsweise dessen Höllenhund Pluto. Sicherheitspolitik, ob auf den Datenautobahnen oder in den eigenen vier Wänden, ist noch immer auf Hundetreue angewiesen; ein Umstand, der nicht dadurch zerredet werden kann, daß auch Hunde für politische Zwecke mißbraucht werden können. Der deutsche Schäferhund an und für sich ist immer anständig geblieben.
Auf dem elektronischen Hundemarkt ist der elektronische Schäferhund eine Neuheit. „Neu: der elektronische Schäferhund“ steht folgerichtig oben auf dem Bestellzettel, und darunter kann man lesen: „Vorbeugender Einbruch- Schutz für Haus und Wohnung.“ Das ist umsichtig formuliert, denn es könnte ja sein, daß Sie gar kein Haus haben, sondern nur eine Wohnung. In diesem Fall machen Sie sich bitte keine Sorgen, stellen Sie den elektronischen Schäferhund einfach vor Ihre Wohnungstür, und warten Sie ab, was passiert. Spätestens wenn Ihr Nachbar nach Hause kommt, geht die Bellerei los, und die Bewohner in mindestens acht Stockwerken fallen freudig aus den Betten: „Ach nein, dieser niedliche elektronische Schäferhund!“
Bevor Sie sich zum Kauf entschließen, sollten Sie einen Blick auf die Originalabbildung dieses Tieres werfen. Die Ähnlichkeit mit dem deutschen Schäferhund ist frappant, denn der elektronische Schäferhund gleicht ziemlich genau einer Soundbox Ihres Multimedia-Computers. Vermutlich können Sie ihn an Ihren PC gewöhnen und als Lautsprecher einer zusätzlichen Verwendung zuführen – vorausgesetzt, Sie sind entweder Hundezüchter oder haben Ihren Pentium-Rechner im Eigenbau hergestellt. Trifft keine dieser beiden Voraussetzungen zu, müssen Sie sich einfach an die Betriebsanleitung halten, bevor Sie ihren elektronischen Schäferhund auf den Rest der Menschheit loslassen.
Beachten Sie bitte: Der elektronische Schäferhund ist kein beliebiger „vorbeugender Einbruch- Schutz“, sondern, wie auf der Rückseite des Bestellzettels zu erfahren ist, ein „extrem wirksamer Einbruch-Schutz“. Das sagt man zwar von deutschen Doggen auch, aber nach einem Gutachten der Stiftung Warentest schneiden deutsche Doggen schlechter ab. Es sind einfach zu viele unangenehme Nebenwirkungen bekannt geworden. Im großstädtischen Alltag bilden deutsche Doggen gelegentlich ein unzumutbares Verkehrshindernis. Außerdem hört man immer wieder, daß sie ihre eigenen Besitzer in der Luft zerreißen, sie am Boden zerschmettern und ihre Reste schließlich schmatzend vertilgen. Das kann Ihnen mit Ihrem elektronischen Schäferhund nicht passieren!
Sicher, Ihr neues Haustier „spürt Bewegung durch Wände, geschlossene Türen und Fenster“. Aber dafür haben Sie ja auch 178 Mark ausgegeben, zuzüglich 9 Mark für den Versand. Umgekehrt beträgt seine Bell-Reichweite mühelos vier Meter, selbst durch dicke Wände, die es in Neubau- Deutschland ohnehin nicht mehr gibt, weil man spätestens seit den Sechzigern den Wohnungsbau in beiden Teilen unseres Landes auf die Erfordernisse der Staatssicherheit, teils auf den Großen Lauschangriff ausgerichtet und sich auf diese Weise bestens auf die Ankunft des elektronischen Schäferhundes vorbereitet hat.
Wichtig ist: „Bei Näherkommen wird das Bellen aggressiver!“ Sie wissen nun, daß Sie es besser vermeiden sollten, Ihrem Hund allzu nahe zu kommen – er würde einen solchen Krach veranstalten, daß währenddessen ein Einbrecher ungestört das Nebenzimmer ausräumen könnte. Gut zu wissen, daß die Empfindlichkeit Ihres bellenden Beschützers „einstellbar“ ist; im übrigen gilt die Faustregel für das übliche Sony- und Nintendo- Zeugs: „Nur Netzteil einstecken, Reichweite und Lautstärke einstellen – fertig!“
Dem Vernehmen nach arbeitet die Firma, die so erfolgreich den elektronischen Schäferhund auf den Markt gebracht hat, an einer Software, die den Bell-Impuls beim Näherkommen von Geistlichen, Strafverteidigern und Parlamentsabgeordneten einfach abschalten soll. Träfe dies zu, so wäre ausgerechnet im Bereich der Hochtechnologie eine für den Standort Deutschland fatale Tendenz zum vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem liberalen Zeitgeist geschuldeten politischen Stimmungen festzustellen, die weder der Produktion elektronischer Schäferhunde noch der Entwicklung unserer Demokratie besonders förderlich wäre. Wieviel Unheil haben Geistliche, Strafverteidiger und Parlamentsabgeordnete schon über diese Welt gebracht! Was könnte einen gut ausgebildeten elektronischen Schäferhund daran hindern, sie zu verbellen?
Der deutsche Schäferhund schließlich, dies sei seinen Freunden und Züchtern zugerufen, wird der deutsche Schäferhund bleiben – auch wenn wir nun mit dem elektronischen Schäferhund über eine Innovation verfügen, die ihn, was Spürsicherheit und Aggressivität, Bellfreudigkeit und Lautstärke betrifft, zweifellos erreicht, wenn nicht gar übertreffen könnte.
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