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■ SchlaglochDas Fernsehen als Fieberthermometer Von Friedrich Küppersbusch

Politik ruiniert die Quote (Kernsatz eines beliebigen Akquisitionsgesprächs mit einem beliebigen Fernsehhierarchen.)

Umgekehrt natürlich auch; die beiden possierlichen Nager sind in freier Wildbahn Freßfeinde. Und so selten, wie Hund und Katze einander lieben, finden sich Quoteure, die an politischen Zitzen schadlos sich nähren. Oder Politiker, die im Quotenrudel standhalten. Die heißen dann Christiansen oder Späth und werden zur Sicherheit bei gutem Futter in gleichnamige Sendungen gesperrt.

Übrigens sind es im Wurf gerade die schwachen Welpen, die zur Mutterbrust erst vordringen, wenn die stärkeren Geschwister sich schon gütlich getan haben. Deshalb entwickeln sie den sogenannten Milchtritt, ein putziges Tapsen mit der Vorderpfote auf den Bauch der liegenden Hündin, um die letzten Tropfen herauszudrücken. Erfahrene Hundezüchter wissen diese frühe Anpassungsleistung zu nutzen: Je schwächer der Welpe war, desto eher lernt er später „Pfötchengeben“, den domestizierten Milchtritt. Wenn er's überlebt.

Ja, Darwinismus kann Freude machen. Da wird getarnt, getäuscht, getötet; da hat der Stärkere das Recht zu jeder Bluttat und die Unschuld des Hungrigen, die Blutlust des Verzweifelten und die Sendeplätze, auf denen es zugeht wie bei Hitlers unterm Sofa. Vox, Super RTL, auch tm3 und nachmittags das ZDF zeigen den Überlebenskampf jener Rassen, die nachweislich „Mein Kampf“ nicht gelesen haben. Hier aber gilt es, die Oralkeule fein sinken zu lassen; die Deutschen haben aus „jener dunklen Zeit“ („Wie Hitler die Glühbirnen klaute“) gelernt. Tierfilme und ihr gezeitenfester Marktanteil funktionieren immer und überall und sind oft Übernahmen von der BBC. Und die war damals schließlich verboten. Nein, politisch wäre, wenn Martin Walser bei Thomas Gottschalk aufträte. Mit der Wette, in 5 Minuten 20 historische Ereignisse zu vergessen. Thommy schaltet zum Außenreporter nach Auschwitz und Walser: „Nee ... also ... ich komm nicht drauf!“ Riesenapplaus.

Die „Knoff-hoff-Show“ im Zweiten – Physikunterricht-Experimente an Dixiegepuste mit kleinem Live-Publikum. Das verhält sich zu „Welt der Wunder“ auf Pro 7 – mit teuren Animationen und lebensechten Weltuntergängen wie der Stadl zu den Viva- Charts. Geschunkelt wird immer. Das Dritte aus Hamburg sendet Archivklafter kölschen Millowitsch; der dortige WDR hält mit Heidikabelfernsehen von der Waterkant dagegen. So unterstreichen sie eindrucksvoll die Notwendigkeit regionaler Fernsehversorgung; vermutlich treffen sich die Archivbänder beim Programmaustausch irgendwo unterwegs bei Osnabrück und zwinkern einander zu.

Jedenfalls verdrängen sie beide den guten alten Bildungsfilm, der seine Heimstatt im Dritten hatte und nach „Film für Wissenschaft und Unterricht“, Super-8-Geknatter und „Hinterher schreiben wir einen Aufsatz darüber“ roch. Geflohen ist der zum Bösepfuikommerzsender Pro 7, und die Kritiker erkennen ihn gar nicht wieder und verreißen ihn so bos- wie sippenhaft. Hätte man ihnen in therapeutisch einfühlsamer Form dargelegt, daß es ein deutscher Privatsender wagt, werktäglich in der absoluten Prime time ein Wissenschaftsmagazin zu zeigen – „galileo“ also –, sie wären bei Türck auf dem Höckerchen gelandet: „Hilf mir, Andreas, meine Kinder gucken, was sie wollen!“

Das Fernsehen als Leit-, Leid- und Light-Medium dieser Gesellschaft zu deuten und als sein Fieberthermometer zu nutzen, mag schon deshalb naheliegen, weil man sich beides – TV und Thermometer – nach landläufiger Meinung am besten sonstwohin stecken kann. Rausziehen, ablesen: TV Spielfilm, Grimme-geehrte Programmzeitschrift jüngeren Zuschnitts, teilt die tägliche Skala in „Serien-Unterhaltung-Sport-Kinder-Report“. Mal rutscht eine Steuerdiskussion in den Naturkundereigen („Ich habe ihnen heute einen niedlichen Finanzminister mitgebracht“), mal windet sich der Geschlechtsverkehr unter einem neugierkompatiblen Gummi aus „Liebe 2 – Die Biologie der Erotik“ im Dienste des SZ-Magazins. Befund?

Der Gegenwartsdeutsche tratscht gern, scheut aber den Weg ins Treppenhaus oder hat gerade keine Flurwoche oder keinen Flur, jedenfalls: „Daily talk“. Was immer da vermeisert wird, muß sich schwundlos in „Der Nachbar treibt's mit dem Hausmeister“, „Müllers Tochter ist gepierct“ oder jedenfalls in „Es geht mich ja nichts an, aber ...“ verdolmetschen lassen. Dann sind wir gerne lustig, und da wir uns das nicht so richtig zutrauen, bekommt der Germanenscherz ein Import-Label: „Comedy“. Nach Feierabend hält es der Deutsche mit der jungen Christiane Herzog, man gönnt sich einen Roman: Arztserie, Romanze, Schicksal, Krimi; Western ist out. Daneben ein Rudel Minderheitenprogramme wie etwa das Deutsche Sport-Fernsehen („Hasseröder präsentiert den Hasseröder-Pokal im Hasserödern der Männer“) oder das türkische Folkloreprogramm TRTint („Ich bin von Kopf bis Tuch auf Liebe eingestellt“). Arte und 3sat, für Intellelle in artgerechter Bodenhaltung.

Nun ja. Nicht gerade todkrank, dies Volk. Eher mordslangweilig. Die kleine Kante, die unauffällige Unebenheit, eben diese leichte Neigung zum „Erklärmirwasfernsehen“ mag so banal sein wie die alltägliche Entscheidung der Erziehungsberechtigten: Wenn die Blagen schon unbedingt glotzen müssen, dann wenigstens was Erbauliches. Vielleicht wurde die neue Generation an „Jurassic Park“ genährt wie unsereins an „Holocaust“. Für die Akquise des freien Produzenten bedeutet dies zunächst, an den Erfolg von „Hitlers Helfern“ anknüpfend, ein Konzept für „Hitlers Hunde – Mit Blondi im Bunker“ zu entwickeln. Generationen reichen sich die Hände über Hundegräbern.

NTV, CNN, Phoenix und – gestern angekündigt – N 24, der vierte Nachrichtensender in deutschen Geräten: 15 Jahre nach Entlassung des Fernsehens in die freie Wildbahn scharren Welpen der ersten Enkelgeneration an der Hoftür und wollen Fütterchen. Das ist erfreulich, zeugt von den Selbstheilungskräften der freien Marktwirtschaft und läßt uns Deutsche doch nicht als Bildungsmonster erscheinen: Genügsame 0,6 Prozent Marktanteil erhofft sich Pro 7 für seine geplante News-Tochter als Ziel. „Selbstkommerzialisierung“ ist ARD und ZDF oft vorgehalten worden. „Selbstöffentlichrechtlichisierung“ wäre ein ekliges Buchstabengeschwür. Und, professionell gemacht, eine feine Sache. Und ein tödliches Problem für ARD und ZDF. Wofür braucht man die dann noch ? Brav. Sitz!

Anfang der 90er dominierte der klassische „Ich stehe hier und kann nicht anders“-Reporter vor dem Loch in der Mauer alle deutschen Kanäle. Die Live-Übertragungen einer welthistorischen Umwälzung waren nicht besser als jede Unterhaltung, sondern die bessere Unterhaltung. Zehn Jahre danach hat es sich davon vielleicht ausgekatert; darf zaghaft wieder informiert werden; Politisches als Marktlücke. Mal sehen.

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