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Schlagerkulturschnäppchen

■ Geschäftsfrau in Sachen Kuschelrock: Großmutter Tina Turner spielt auch auf Diät und bei der Abschiedstournee vom Schowbusiness mit ihrem Körper

Kürzlich sagte mein Frisör, daß „Golden Eye“ viel besser von Shirley Bassey gesungen worden wäre. Insgeheim steckte in dieser Behauptung selbstverständlich eine Beleidigung all jener Leute, die seit anderthalb Jahrzehnten auf Kuschelrock abonniert sind und sich den Gefilden des Blues und Souls vor allem über eine Sängerin genähert haben: Tina Turner.

Sie ist so populär, ja sakrosankt, über alle Kritik erhaben sozusagen, daß sie am Samstag im Volksparkstadion ebensogut Texte von Rainer Maria Rilke zur Zither vortragen könnte. Beifall wäre ihr gewiß, Hauptsache sie wackelt mit dem Hintern, schmollt ihre Lippen und röhrt stimmlich mehr als daß sie lieblich singt.

Aber man sollte der Turner nicht so bissig-nostalgisch begegnen. Was kann sie denn dafür, daß die Produzenten des letzten Bond-Films unbedingt sie und eben nicht die Britin Bassey als Titelsängerin haben wollten? Wäre ja auch blöd von ihr gewesen, so ein Schnäppchen am Wegesrand der aktuellen Schlagerkultur liegenzulassen. Schließlich hat die mittlerweile 57jährige Frau nicht vergessen, was es heißt, jeden Penny dreimal umdrehen zu müssen.

Es gehört mithin zum guten Ton, nochmals an diese harten Jahre zu erinnern, die ihre Vita erst so schön schillern lassen – und jeden Fan dazu einladen, in jeder Note der Turner noch jetzt, wo sie als wohlhabende Geschäftsfrau zurückgezogen am Zürcher See samt Schweizer Freund lebt, einen versteckten Schrei gegen das Leiden an sich zu erkennen: Geboren 1938 im US-Staat Tennessee, damals, als Schwarze noch der letzte Dreck waren in den Südstaaten des gelobten Landes.

Daß ihr auch Menschen gleicher Hautfarbe Schmerzen zufügen können, erkannte sie als Teil des Duos Ike & Tina Turner, deren größter Hit „River Deep Mountain High“ hieß. Ike beliebte seine Frau zu schlagen, zu drillen, zu demütigen – er wußte, daß er ohne sie nichts sein würde. Klare Sache, daß Tina T. abhaute. Die während der Ike-Zeit erworbene Bühnensicherheit nutzte sie spätestens 1982 zu einer Solokarriere im Weltmaßstab.

Es begann damit, daß sie den alten Soulklassiker „Let's Stay Together“ so zart und mürbe zugleich gab, daß das halbe Pop-Europa in Verzückung geriet. Das folgende Album Private Dancer machte sie reich; Rollen in Mad Max, Gastspiele beim Live-Aid-Konzert oder vor 186.000 Zuschauern in Rio de Janeiro rundeten ihren Status als Frau ab, die sich durch nichts und niemand unterkriegen läßt.

Jetzt also wieder eine Abschiedsstournee, wie schon so oft. Das erinnert ein wenig an die ewig gebrochenen Versprechen der Zarah Leander. Doch der Unterschied liegt wohl darin, daß die Turner während ihrer Tourneen streng diätisch lebt und immer früh zu Bett geht. Das mögen ihre Fans. Soviel Nüchternheit im Showbusiness kommt mittlerweile gut an. Sie wird aus ihrem neuen Album singen – Nebensächlichkeiten, alle Kuschelrock-kompatibel, aber durch Tina T. so gut gemacht, daß einen selbst das HSV-Stadion von einem Besuch nicht abschrecken müßte.

Welche Frau im großmutterfähigen Alter, das räumt selbst mein Frisör ein, kann schon mit ihrem Körper spielen, ohne daß es nach Ententanz auf Butterfahrt aussieht?

Jan Feddersen

Sa, 22. Juni, 19 Uhr, Volkspark-stadion

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