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Schirm und ChiffreWas in der „Bravo“ nicht steht ...

■ ...findet sich auf der ersten CD-ROM von Radio Fritz, und das in klassischer Comic-Ästhetik – Medien in und um Berlin

Es ist multiaktiv, aber kein Energydrink. Hier waren auch keine genmanipulierten Bakterien am Werk, um biologisch abbaubares Herbal Ecstasy zu produzieren: Es handelt sich vielmehr um Radio Fritz, das nach dem Willen seiner Presseabteilung jetzt auch multiaktiv zu haben ist. Der Vorteil der Wortschöpfung ist offensichtlich, sie erspart uns wenigstens das unvermeidliche „multimedial“.

Multiaktiv ist Fritz im Vergleich zu anderen Medien tatsächlich: Die interne Multimedia-Redaktion – da ist es schon wieder – hat bereits Ableger im World Wide Web auf Pixelparks Wildpark-Areal (http://www.fritz.de) und in Compuserve (Go Gerwin) angelegt und eine netzunabhängige Mailbox eingerichtet. Jeder Benutzer kann sich dort mit Hilfe eines Terminalprogramms und eines Modems einwählen.

Wer die Menschen hinter Fritz schnell und relativ unmittelbar erreichen will, ist hier an der richtigen Adresse. Um die Multiaktivitäten zur Hörerbindung abzurunden, wird nun demnächst die erste Fritz-CD-ROM erscheinen. CD- ROMs werden ihren Möglichkeiten nur selten gerecht und verbreiten meistens eines: Langeweile. Das ist um so schlimmer, als das Interaktive und ominös Multimediale die Hauptargumente sind, mit denen CD-ROMs aggressiv beworben werden. Produktionen mit besserer Qualität verfügen meist über Etats, die sich mit professionellen Videoclips messen können.

Fritz-CD-Autor Johnny Haeussler hat dagegen ein Low- budget-Produkt geschaffen, das alle Formen einer nichtlinearen und tatsächlich interaktiven Programmierung konsequent nutzt. Dabei kam ihm vor allem der Umstand zupaß, daß Fritz ein klassischer content-provider ist, also ausreichend über Inhalte, Material und Arbeitskraft verfügt.

Auf der CD tauchen dann auch alle Fritz-Moderatoren auf, sowohl um dem Benutzer persönliche Obsessionen nahezubringen, als auch um mit Höhepunkten aus dem eigenen Schaffen aufzuwarten. Moderator Lücke zum Beispiel hält eine Batterie von Interview-Schnipseln bereit, darunter Ice T und Iggy Pop. Letzterer findet vor allem den Vorschlag Lückes ziemlich lustig, von seinem Körper als golden body sprechen zu können, zöge man die in Drogen investierten und dann intravenös zugeführten Summen in Betracht. Spektakulär auch die „abgeschlossene Foto Fick Story“ des schmierigen Onkel Hotte, die ätzende Trash-Version eines Bravo-Fotoromans. Hier wird alles ausgesprochen, was die obengenannte Teenie-Version verschweigt.

Mit von der Partie sind auch die „Ohrenzeugen“, Fritzens interaktives Sonntagshörspiel, das auf CD zum Comic mutiert. Überhaupt bedient sich das Design klassischer Comic-Ästhetik, eine Benutzerführung existiert nicht.

Um etwaige Hoffnungen gleich zu Beginn zu zerstören, ist der Start der CD nur mit der Quit- Taste möglich. Diese geplante Unübersichtlichkeit erzeugt Neugier [oder Überdruß, der Säzzer] und schafft Spannung. Jede vermeintliche Sackgasse ist eine Aufforderung, genauer hinzusehen. Wer auf herumliegende und -stehende Gegenstände klickt, eröffnet neue Ebenen. Und von denen gibt es genügend, um für einige Stunden beschäftigt zu sein. Alle Abschnitte sind mit Musik unterlegt, mit Hilfe eines kompletten Fritz-Studios können selbst Sounds bearbeitet werden.

Nach einigen Stunden Zielen und Klicken sind schließlich alle Zweifel an der Multiaktivität von Fritz beseitigt: Für Menschen, die sich ihre kindliche Neugier bewahrt haben, ist diese CD-ROM ein faszinierendes Techno-Gimmick, das sich um die Härten der Realität nicht herumdrückt. Ulrich Gutmair

Die CD-ROM ist mit Macintosh und Windows kompatibel, kostet 29 Mark und ist auf der IFA am ORB-Stand und demnächst auch im Handel erhältlich.

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