■ Schirm & Chiffre: Akustisches Design verlorener Einheiten
Neulich rief ich bei der Firma Hobex an. Ich war auf der Suche nach einem sehr speziellen Scharnier. Aber das tut eigentlich nichts zur Sache... Mein Anruf jedenfalls wurde von einer Dame mit sehr rauchiger Stimme angenommen. Sie kündigte an, sie werde mich mit dem „Spezialisten für Scharniere“ verbinden. Dann landete ich in der Warteschleife der Telefonanlage. Ein kleines synthetisches Xylophon klimperte unaufhörlich eine beschwingte Melodie.
Als nächstes rief ich bei Siemens an. Abteilung Telefonanlagenbau. Nicht wegen der Scharniere, sondern jetzt wegen der Wartemusiken. Wie kommen diese Klänge eigentlich ins Telefon? Wieder habe ich eine freundliche Telefonistin an der Leitung, die mich abermals in die Warteschleife schickt. Diesmal säuselt eine softe Frauenstimme zu Slowfox-Klängen. Das klingt ungefähr so: „Bitte warten Sie – dengel dengel dengel – Plies hold se lain – dengel dengel dengel – Resteh a linie sil wuh pläh – dengel dengel dengel – Bascha uschta ditsche...“ Russisch? Bei Siemens!? Ich bin beeindruckt. Gerade als ich die Warteaufforderung in allen Sprachen fließend nachsprechen kann, hebt Herr Scheel ab. Wie die Musik ins Telefon käme, könne er mir nur bedingt erklären, da Siemens das entscheidende Gerät, ein sogenanntes „Musiphon“, von einer Zulieferfirma beziehe. Aha.
Die Telefonspur führt nach Westdeutschland. Zur Beyer KG in Hilden – „die führende Firma für die Einspielung von Musik und Warteaufforderungen in Telefonanlagen“. Auch dort lande ich erst mal in der Warteschleife („Himbeereis zum Frühstück“). Dann geht Frau Beyer höchstselbst an den Apparat. „Musiphon? – Ja, da sind Sie hier richtig.“ Es folgt eine Kurzfassung ihrer Geschichte: Angefangen hat Beyer mit Anlagen zur Kaufhaus- und Supermarktbeschallung. „86 kamen die Wartemusiken fürs Telefon dazu. Zuerst rotierten die Aufnahmen auf Endloskassetten, später wurden sie digital auf Klangchips gespeichert.“
Die Standardversion des Beyerschen Musiphons hat heute fünfzig frei wählbare Klangschleifen im Programm, „von modernen Stücken über bekannte internationale Melodien bis hin zur Klassik“. Dazu kommen einstellbare Warteaufforderungen in sechzehn Sprachen. Plies hold se lain.
„Wissen Sie“, sagt Frau Beyer zu mir, „wenn Sie in ein leeres Rohr hören, dann haben Sie das Gefühl, völlig in der Leitung zu hängen. Da sind Sie nach ein paar Minuten mit den Nerven zu Fuß. Die Musik signalisiert: Hier wird was für dich getan. Manchmal sagen die Leute: Ach, hätten Se mich doch noch 'n bißchen drangelassen. Oder die singen mit. Oder sonstwas.“ Ich nicke mit dem Kopf, was Frau Beyer freilich nicht sehen kann, und staune über die Finessen des akustischen Designs der Langeweile. Im stillen denke ich, daß diese Musiken spätestens ab der dritten Schleife auch eine nervtötende Wirkung entfalten können. Aber das sage ich Frau Beyer nicht.
P.S.: Wer es mal wieder ganz unverbildet haben will, der rufe einfach mal bei der taz an und lasse sich verbinden. Hier erklingt allein das stille Rauschen der Telefonanlage... Martin Muser
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen