■ Schirm & Chiffre: Heimattscheibe
Die Hauptstadt im Spiegelbild des Regionalfernsehens – Folge 2: „IA – Der Tag“.
Da hat man jahraus, jahrein nur das Schlechteste über den Pannensender IA geschrieben, und es hat sich nichts geändert. So wirkungslos ist die Medienkritik. Das wollen wir doch mal festgehalten haben. Trotzdem richten wir die Augen unverdrossen abermals auf den „Eselsfunk“. War der Blick auf den SFB noch gnädig vom Fieberdelirium verschleiert (vgl. taz vom 4.5.), so mußte der genesene Kolumnist „IA – der Tag“ ohne pharmazeutische Hilfestellung ertragen.
Kaum drängelte Punkt halb sieben das lächelfreudige IA-ModeratorInnengespann auf die Mattscheibe, zog bei mir die schlechte Laune ein. Im Wechsel buchstabiert das Duo seine gedrechselten Anmoderationen vom Tele-Prompter. Den Rest besorgen reißerisch zusammengeschüttelte Beiträge, dumpfe Straßenumfragen (dem Volk aufs Maul geschaut) und „Sticker Picker“. Wer sich einen IA- Aufkleber ans Automobil leimt, kann gewinnen.
Über allem Ungemach kreist der mediale Aasgeier „IA-Chefreporter Lutz Deckwerth“. Der Egghead simuliert den Mann fürs Investigative. Er jagt die „jugoslawische Schrott-Mafia“ und bannt die Blutspuren vor dem „Todeshaus in Marzahn“ auf das Videotape. Zwischenzeitlich klappen die mal wieder ewig grinsenden Fernsehnasen aus dem IA- Wetterhäuschen. Auf dem Alex halten sie ihr Mikrofönchen in den Wind und verkünden die „aktuellen Temperaturen für die Heimat“. Die „Heimat“ ist bei IA immer da, wo man besser nicht ist. Irgendwo zwischen dem Teppichland Berlin, den Waltersdorfer Wasserbetten und dem Mona-Anbausystem. Vergnüglich sind allein die Rubriken „Der Schandfleck“ und „Jetzt reicht's“. Fehlleistungen des Sozialstaates, Schlamperei bei den Behörden, Ungerechtigkeit des Lebens, hier werden sie angezeigt. IA, der Rächer der Enterbten und Anwalt der Entrechteten.
Die pfiffigen JungreporterInnen halten auf Wunsch des Hauses brav ihr Konterfei in die Kamera. Und befleißigen sich dabei einer eigentümlichen Marotte: sie sagen ihren Text meist im Gehen auf, was der Logorrhöe eine eigenartige Dringlichkeit verleiht. IA, das ist die Flucht nach vorn.
Und alle fliehen mit. Die Berliner Polit-Chargen geben sich hier die Klinke in die Hand. Ob CDU, SPD oder Grüne, sie drängeln alle bereitwillig hinter die Interviewtheke. Lassen sich von tumben ModeratorInnen befragen, nicken die dümmsten Gemeinplätze ab und füllen billig Sendezeit. Angesichts des hiesigen PolitikerInnen- Personals ist der Auftritt bei IA in den seltensten Fällen eine Mesalliance. War die Abendschau die televisuelle Inkarnation des Berliner Provinz-Miefes, so ist IA dessen Apotheose. Hier stinkt die Stadt zum Himmel. „Bleiben Sie dran!“ Martin Muser
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