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Schirm & ChiffreMexikanische Wüstenromantik im Cyberspace

■ Medien in Berlin – in Maschinen-Ästhetik oder à la „Goldenes Blatt“: e-zines, das heißt elektronische Magazine, Teil 1

Im Anfang war das Wort, und es lag als ASCII-Code auf einer weiten Ebene. Die virtuelle Gemeinschaft im Internet basierte zwanzig Jahre lang auf dem Austausch von Dateien und Texten. Noch heute begnügen sich die meisten Dienste im Netz mit der Schrift. Es entstanden bald unzählige elektronische Zeitschriften. Im multimedialen World Wide Web blieb diese Tradition ungebrochen, jetzt konnten die Herausgeber aber dazu übergehen, Grafiken einzubinden und die einzelnen Artikel multidimensional miteinander zu verbinden.

Auch im WWW finden sich inzwischen Hunderte von e-zines (eine umfangreiche Liste wurde von John Labovitch zusammengestellt: http//:www.meer.net/ johnl/e-zine-list/zines/Alpha.html). Ooze etwa ist eine Postille jugendlicher Medienjunkies, ein elektronisches Goldenes Blatt für die Generation X, Untertitel: „A Journal of Culture, Wit and Dangerous Masturbatory Habits“. Ooze hat mit Nummer 5 eine Zirkulation von immerhin 31.203 erreicht. Um die Auflage zu steigern, werden die User aufgefordert, Links von ihren eigenen Homepages zum Magazin zu legen: „Die anderen Kids werden denken, daß du cool bist, und wir garantieren dir ein Supermodel!“

Das Cover überzeugt durch seine Trash-Ästhetik, als Eyecatcher fungiert ein schreiendes Kleinkind, in dessen Kopf eine Gabel steckt – „to ooze“ heißt soviel wie „auslaufen“. Wer nicht nur durchsurft und weggezappt werden will, muß Aufmerksamkeit erregen. Ist man den bunten Grafiken tatsächlich erlegen, gibt es allerdings nicht mehr viel zu lesen. Dominierendes Thema sind die Medien, für die die Redaktion von Ooze vor allem Zynismus übrig hat. Das ist nur selten lustig.

Intellektuelle Schwerstarbeit wird dagegen auf den Seiten der Postmodern Culture geleistet. Grafiken gibt es hier nicht, dafür jede Menge Fußnoten. Die Zeitung wird von mehreren amerikanischen Universitäten herausgegeben und deckt Themen ab, die in Vol.5, Nr.3 von Psychiatriekritik bis zu literaturwissenschaftlichen Abhandlungen reichen. – Paul Manns „Stupid Undergrounds“ schickt den Leser auf eine Tour de Force durch erst kürzlich kolonisierte Gebiete der Subkultur und stellt fest, daß Underground nach dem Scheitern modernistischer Strategien keinen Sinn mehr hat und Kritik als solche unmöglich geworden ist. Im Verlauf der Reise werden allerlei subversive Strategien und Poptheorien, inklusive Situationismus, Punk und der modernen Primitiven, in ihre Bestandteile zerlegt und als „stupid undergrounds“ geoutet, die schon lange niemanden mehr befreien.

Auch der Cyberspace sei bereits kontaminiert, sagt Mann. Er fungiere wie alle subkulturellen Räume als weiterer Randbezirk für eine von vornherein gescheiterte, wieder mal neu aufgelegte Avantgarde, deren hypnotisierte Sklaven wir seien. Mann bezeichnet sich als Masokritiker, warnt den Leser aber fairerweise bereits im Abstract: „You'd be stupid to download this one!“

HI-REZ, das „Elektronische Journal für CyberBeatniks“, ist gerade mit seiner ersten Ausgabe im Netz vertreten. Endlose Spalten mit reinem Text füllen den Schirm, als Illustrationen fungieren ASCII-Bilder, die aus Zahlen und Buchstaben bestehen. Diese nostalgische Maschinen-Ästhetik kokettiert mit längst vergangenen Pioniertagen von Elektronik; die Geschichten tauschen die Weiten Amerikas gegen den Cyberspace ein.

In „Desert Song“ gibt es sogar eine wirkliche Wüste, ein Auto, Peyotl, Schamanen, psychedelische Erfahrung und – als Cyberkomponente – ein Laptop.

Lynn Hansens „Dark Visions“ zeigt das Leben in einer Welt, in der ordentliche Kunden zur Prime Time vor den Geräten sitzen. Bürger nennt man in dieser Cyberpunkgeschichte nur noch die Underdogs: „Ich bin nicht leicht zu beleidigen, aber ich bin Kunde, schließlich bezahle ich.“ Und wer bezahlt, hat das Recht, als Kunde bezeichnet zu werden. Das wiederum hört sich an wie das Echo aus einer nahen Zukunft. Ulrich Gutmair

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