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Schirm & ChiffreMarie gab vor, nach Channel 5 zu riechen

■ Die tägliche Sexsimulation – eine Runde Cyberflirt im Selbstversuch, Deckname „HotBoys“

In „Demolition Man“ hatte Sylvester Stallone alias John Spartan ein Problem mit Sandra Bullock, die eine Frau mit dem bezeichnenden Namen Lenina Huxley spielt. Lenina hatte zwar Spaß an Cybersex – die beiden saßen sich, mit Datenhelm und Sexsensoren ausgerüstet, gegenüber und orgasmierten – aber berühren lassen wollte sie sich nicht.

Man denke nur an die zu erwartenden Körpersäfte und die damit einhergehende Invasion fieser kleiner Mikroorganismen. In Anbetracht der sich explosionsartig vermehrenden Sex- Party-Lines und des heftigen Interesses an Cybersex stellte „Demolition Man“ die nicht besonders originelle These auf, daß Sex immer virtueller wird.

Grund genug, sich die tägliche Sexsimulation einmal genauer anzuschauen. Zu diesem Zweck logge ich mich in den CB-Simulator des kommerziellen Online- Dienstes Compuserve ein. Dort stehen drei Bandbreiten mit je 36 Channels, also Kanälen, für die schriftliche Konversation in Echtzeit zur Verfügung.

Zwei der Bänder sind Erwachsenen vorbehalten, und auf beiden haben sich die Channels 33 und 34 als Gay and Lesbian Lifestyles etabliert. Auf Kanal 1 scheinen sich dagegen heterosexuelle Frauen und Männer zu treffen. Ich öffne das Fenster des Kanals, und sofort füllt sich der Bildschirm mit Zeilen. Fast alle Anwesenden haben Phantasieidentitäten angenommen und sprechen in kleinen Gruppen miteinander.

Das zu verfolgen ist relativ schwierig, da jeweils die Botschaft am unteren Ende des Fensters auftaucht, die als letzte eingetippt wurde. Die Gespräche scheinen weder im Hinblick auf einen gepflegten Small talk noch in cybersexueller Hinsicht besonders aufregend zu sein, doch siehe da, „Marie“ hat die Party betreten: „Hi, I'm a French girl, I want love.“

Aha, ein französisches Mädchen will einfach nur Liebe. In Wirklichkeit könnte es sich natürlich ebensogut um einen frankophilen schottischen Staubsaugervertreter handeln. Sei's drum, schließlich will ich wissen, was es mit Cybersex auf sich hat, und der ist ja sowieso ziemlich virtuell.

Der CB-Simulator hat den Vorteil, daß man mit anderen TeilnehmerInnen auch unter vier Augen sprechen kann, ich wähle also „Marie“ aus der Anwesenheitsliste aus, klicke den Sprechen-Knopf und sage hallo. „Marie“ will zuerst wissen, wie viele wir sind; mein cybersexerfahrener Gastgeber hatte mir nämlich das Pseudonym „HotBoys“ verpaßt. Ich erzähle ihr von meiner multiplen Persönlichkeit, und sie versteht sofort: „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“.

Dann kommt sie schnell zur Sache und ich mir vor wie ein Synchronisationssprecher in einem durchschnittlich schlechten Pornovideo. In einer Cybersexkonversation bleibt einem wohl nichts anderes übrig, als zu beschreiben, was man gerade tut, fühlt oder sieht. In den nichtsexuellen Arealen der elektronischen Kommunikation wurden aus diesem Grund Emoticons entwickelt, die fehlende Mimik und Körpersprache ersetzen. Ein quergelegter Smiley wie dieser 8) sagt dem anderen: Das, was ich gerade gesagt habe, war erstens ironisch gemeint, und zweitens bin ich Brillenträger. Um dem ziemlich langweiligen Hantieren mit virtuellen primären Geschlechtsorganen zu entgehen, versuche ich es also mit „Du riechst gut.“ Worauf ich die verwirrende Botschaft „Channel 5“ erhalte. Will „Marie“ mich in den Kanal 5 mitnehmen? Nein, „Channel 5 ist mein französisches Parfüm“. Schottische Vertreter scheinen einen seltsamen Humor zu haben, wie es scheint.

Um ihn dazu zu bewegen, endlich zuzugeben, daß er keine kleine Französin ist, stelle ich eine Fangfrage: „Mais ça s'appelle Chanel, n'est ce pas?“ Aber Schotten sind charmanter, als man gemeinhin annimmt, er antwortet mit virtuellem Augenaufschlag: „Oui, j'ai perdu.“ Nein, mein Lieber, du hast gewonnen, ich gebe auf und trolle mich zurück in die reale Welt. Ulrich Gutmair

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