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Schirm & ChiffreGeschwindigkeitsforscher im Ohrensessel

■ „philosophische praxis“ in der Brotfabrik. Wem dient die Infobahn? fragten sich die ZuhörerInnen

Information will frei sein, heißt es. Daß Hacker, Softwarepiraten und andere digitale Kommunisten irgendwann freche Behauptungen solcher Art aufstellen würden, war ja klar. Aber wer hätte gedacht, daß der Philosoph Virilio schon 1979 in seiner Abhandlung über das „postmoderne Wissen“ postuliert hat, alle Datenspeicher sollten der Gesellschaft offenstehen? Und was ist Information überhaupt?

Diese und andere Fragen werden jetzt in der neuen, dritten Diskussionsreihe „medien gesellschaft information“ der „philosophischen praxis“ wenn nicht geklärt, so zumindest auf die Tagesordnung gebracht. Die „philosophische praxis“ als Hybrid aus basisdemokratischem Experiment und kapitalistischem Unternehmen tritt an, Philosophie aus den Universitäten in die Gesellschaft zu tragen.

Letzten Dienstag sollte die Reihe mit einer Veranstaltung zum „Password Information“ beginnen. Der Titel war gut gewählt: Seit Foucault ist klar, wie die Gesellschaft via Disziplinierungs-, Wissens- und andere Regime Zugänge zu sozialen Räumen öffnet oder schließt. Jeder Hauptschüler kann ein Lied davon singen, wie die Vorenthaltung einer spezifischen Wissensformation einen geradewegs auf die lange Bank des Arbeitsamtes führen kann.

Information ist eines der wichtigsten Paßwörter im sozioökonomischen Raum geworden: „Wo globale Computernetze zur primären sozialen Realität werden, finden sich einzelne und kollektive gesellschaftliche Akteure durch formalisierte Wissenssysteme verbunden, die sich in der Kombination der richtigen Information mit der richtigen Software zur richtigen Zeit produktiv realisieren sollen.“

Diese These konnte dann aber wegen Erkrankung des Referenten nicht diskutiert werden und machte der fundamentalen, aber offensichtlich notwendigen Debatte Platz, wozu die vielbeschworene Infobahn denn eigentlich gut sei, außer die Kassen des neuen Industrieadels zu füllen und unser Bewußtsein endgültig zu kolonialisieren.

Die neuen Kommunikationstechnologien scheinen die alte Frage zu provozieren, was Industrialisierung und Technologisierung dem westlichen Menschen gebracht haben, und – natürlich keinesfalls unberechtigte – Ängste heraufzubeschwören. Die Angst vor Technologien und deren Folgen wird spätestens dann zu einem Problem, wenn sie in einen technikfeindlichen Kulturpessimismus mündet. Im letzten Jahrhundert wollten militante Zeitgenossen die Einführung der Eisenbahn verhindern, weil die hohe Geschwindigkeit angeblich ein Heer von Schwindsüchtigen produzieren würde.

Über der Diskussionsrunde schwebte derweil unsichtbar das aktuelle generation gap, das sich nicht mehr an politischen oder ästhetischen Vorlieben festmachen läßt, solange die Rolling Stones sich weigern, endlich mit der Musik aufzuhören. Generationenzugehörigkeit entscheidet sich wohl nur noch an der Frage, ob jemand zur Interaktion mit den Benutzeroberflächen von PCs willig und fähig ist oder eben nicht. Letzterem stellt sich aber irgendwann die Frage, wie man den persönlichen und gesellschaftlichen Nutzen einer Technologie beurteilen will, die man nicht beherrscht.

Es macht eben doch einen Unterschied, ob jemand wie der obenerwähnte Virilio, im Ohrensessel sitzend, über das Phänomen Geschwindigkeit räsoniert oder sich in einem Tanklastzug wiederfindet, dessen Bremsen versagen. Hier sei noch einmal an die Philosophie der Hacker erinnert, die meinen, man sollte zumindest so viel über die neuen Technologien wissen, daß man sich über ihre Gefahren ein realistisches Bild machen und bei Bedarf auch gegen die Gebrauchsanweisung für eigene Zwecke nutzen kann. Der kreative User ist gefragt, denn User sind wir früher oder später alle. Ob wir wollen oder nicht. Ulrich Gutmair

Die nächste Veranstaltung der „philosophischen praxis“ beschäftigt sich mit der Frage „Was heißt eigentlich ,virtuelle Realität‘?“. 31.10., 20 Uhr, Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, Weißensee

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