■ Schenken im Osten: Lob dem Mangel!
Ja früher, im Osten, da war das Schenken noch wirklich mit Freude verbunden. Was tanzte Vater alljährlich unterm Weihnachtsbaum vor Begeisterung über das handgeschöpfte Briefpapier, von dem nur wenige Blätter die heimischen Läden erreichten! Alle Jahre wieder füllten sich seine Augen mit Tränen. Es war weniger die Rührung über das edle Papier als das Wissen darum, wie schwer die Suche danach gewesen war. Brachte man es gar fertig, für Mutti ein im Westen verlegtes Buch von Jurek Becker zu besorgen, konnte man sich den elterlichen Blicken der Dankbarkeit und Bewunderung sicher sein.
Strich Vater dann zärtlich über das Papier und versteckte Mutter das Buch unterm Kopfkissen, war die aufreibende, fünfjahresplanmäßige Organisation der Geschenke vergessen. Man war glücklich, sie glücklich gemacht zu haben. Man hatte es wieder einmal geschafft, das aufzutreiben, was es eigentlich nicht gab. So waren die einseitige Versorgung und die phantasielosen Massenprodukte zwar kein Garant für den Frieden im Land, für richtige Freude unterm häuslichen Weihnachtsbaum aber allemal.
Doch jetzt, wo kaum ein Wunsch nicht seine Erfüllung findet, ist es wahrlich schwer. Was soll man tun, wenn die Eltern plötzlich aufmucken und das, was ihnen jahrelang Freude bereitete, verschmähen? Wenn der Vater jammert „Wozu bin ich damals auf die Straße gegangen, wenn ich jetzt noch immer auf dem gleichen Papier schreiben muß?“ und die Mutter partout keinen Bock mehr auf Jurek Becker auf dem Nachttisch hat? Jetzt, wo dessen Bücher ganz legal zu bekommen sind und auch das Briefpapier, das Handgeschöpfte, keine Rarität mehr ist, erkenne ich meine Eltern nicht wieder. Doch auch sie halten mich für undankbar, weil ich mir fürs nächste Weihnachtsfest die glücklich machenden Versorgungsengpässe zurückwünsche. Barbara Bollwahn
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