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■ ScheibengerichtFellow Travellers

Things And Times (Normal)

Eine Platte vom See der duftenden Seelen. „Things and Times“, die neue Fellow Travellers, trifft einen zwar nicht mehr ganz so glücksfallmäßig unvorbereitet wie „Just a Visitor“, jedermanns Folkie-Lieblingsplatte vom letzten Sommer, doch die Idee, Brotbeutler-Gitarren und Näsel-Timbre mit Dub- Reggae zu kreuzen, zündet auch diesmal wieder zumindest ein Kerzlein an in der durch allerlei Tick, Track und Gewohnheit verdunkelten Herzensgrube. Zart wie noch nie besingt Jeb Loy Nichols, was andere fahrlässig verkommen lassen, etwa das Salz einer fallenden Träne (man soll sie wegküssen, heißt es im Refrain), ein Leben in Armut und Würde („Poor & Clean“) sowie – das ist Pflichtprogramm bei Amis, die in London leben — „Rainy Days And Mondays“. Obwohl die Fellow Travellers, wenn die Presse nicht lügt, viel auf Reisen sind, klingt das alles wie die Essenz nie stattgefundener Urlaube, die in britischen Wohnküchen verbracht wurden. Erschüttert fragt man sich, wie Journalisten im vergangenen Jahr den zarten Karibik-Touch der Travellers mit dem Baccardi-Feeling verwechseln konnten, ist doch, was an dieser Musik heiter und laid back herüberkommt, nicht etwa ursprüngliche Unbeschwertheit, sondern die endlich erlangte Formsprache schüchterner Menschen - die dann freilich umso schöner erstrahlt, als sie noch Spurenelemente von Scheitern in sich trägt.

Das Tolle ist nämlich: ist man erstmal so weit, kann man plötzlich nichts mehr falsch machen, und selbst der Versuch, einen Soul- Song mit Folkmitteln zu spielen wie in „I Don't Understand“ gelingt mit der Selbstverständlichkeit, die wirklich gefundene Lösungen für gewöhnlich an sich haben.

Straight On (Acoustic Music Records)

In der mittelgroßen Stadt, in die ich Ende der siebziger Jahre zog, um mich der Fesseln von Religion und Familie zu entledigen, gab es im Angebot der Selbstverwirklichungsmodelle und -musiken auch eine Richtung, die sich „Fingerpicking“ nannte — Role Models damals: David Qualey, Samy Vomačka, Marcel Dadi. Es war die Zeit, bevor Punk losbrach, genauer gesagt: Punk war eigentlich schon losgebrochen, aber noch nicht zu uns durchgedrungen, die wir in holzverschalten Kellern einer familiären, fast religiösen Beseeltheit frönten.

Genau diese Splendid Isolation muß es gewesen sein, die „Fingerpicking“ und seine Adepten zu jener von keiner schlechten Wirklichkeit verborbenen Höhe der Kultur trieb. Flink und geübt huschten die Finger übers Griffbrett, gehorsame Erfüllungsgehilfen einer dauertraurigen Stimmungslage, die ganz gut zu sich selber paßte und weiter nicht viel wollte. Fingerpicker waren Keith Jarretts der Gitarre, ihre Kunst muß viel mit Zen zu tun gehabt haben im Sinne von „Zen oder die Kunst, eine Gitarre zu warten“. Daß vieles davon reinstes Gedudel war, wurde erst so richtig klar, nachdem der zugehörige Überbau von einer neuen und erfrischenden Barbarei weggepunkt worden war. Fingerpicking verschwand sang- und klanglos von der Bildfläche und tauchte auch nie wieder auf — außer als Programmtafelmusik für Radio Bremen, das damit einen leicht verträumten und kinderladenfreundlichen Sozialdemokratismus signalisierte.

Ein Meister scheint aber doch da draußen überlebt zu haben, und zwar ausgerechnet in Belgien, dem Heimatland gräulichmelierter Industrial-Sounds. Jacques Stotzem heißt er, ist von eher unscheinbarer Erscheinung, verfügt aber über ein Fingerspiel, das den Zeremonienmeistern von damals in nichts nachsteht. Dieselbe schöne Maniriertheit der Kunstübung, dieselbe hochelaborierte Schnörkeligkeit der Melodiebögen. Fantasien, die sich vor einem entfalten wie Muster auf einer Vase der Ming-Dynastie, akustische Rêveries sind das, mit klasse Titeln wie „Trace Of Sorrow“oder „Printemps Acoustique“ — Titeln, die natürlich rein gar nichts bedeuten, aber gerade deswegen wie geschaffen dafür sind, bei einem guten Glas Roten Rückschau zu halten.

The Whole World (Normal)

Wir können auch anders. Subtilitäten im Stotzemschem Sinne sind Penelope Houstons Sache nicht, sowas kennt sie sicher gleich gar nicht erst — pure Zeitverschwendung für jemanden, der jung ist und tough und harsch gepickten und noch harscher geschrummten Folk der Neunziger Jahre betreibt. „Schöne“ Melodien gibt es zwar eine Menge auf „The Whole World“, aber ohne die bittersüße moll-lastige Kunstsinnigkeit, die zu den typischen Sackgassen auch besserer Folkpoeten gehört.

Dann schon lieber den guten Dur-Akkord wieder flottmachen, man kann ihn ja ein bißchen aufbohren. Ein Kondensstreifen Babes In Toyland hängt über dieser Musik, ein rauher Hauch dessen, was in letzter Zeit an allen möglichen und unmöglichen Orten des Popschreiberwesens als Musik interessant-böser, neo-männermordernder US-Biker-Girls gefeiert wurde. Nur ist das hier eben eine One-Woman-Show (with a little help from some friends), die die meisten Coffee-Shops von San Francisco von innen gesehen hat, und schon deshalb ihre Energie aus der Akustischen heraus entwickelt. Kommt auf der Geraden etwas langsamer, hat aber weniger Fehlzündungen.

Komponiert und produziert von Jan Fryderik (Zu beziehen über TCE Service, Bad Honnef)

Schon mal darüber nachgedacht, warum Computerspielfreaks nicht ohne einpeitschende, nervtötende Begleitmelodien glücklich sind, während Autofahrer eher zur sanften musikalischen Untermalung ihres Treibens neigen? Das ist nämlich sozialpsychologisch alles noch gar nicht richtig erforscht!

Wahrscheinlich hat es aber doch was mit der spezifischen Libido von Autofahrern zu tun, der ja der Ruf vorauseilt, weniger polymorph und fließend zu sein als genital, ruckelig, knüppelfixiert, die also eher ein Sedativum braucht als ein Stimulans, wenn es nicht zum Massaker auf der Straße kommen soll. Ein Sedativum freilich, in dem das Verdrängte in homöopathischen, konzentrationsfördernden Dosen wiederkehrt.

So wie auf der neuartigen Kassette mit „Autobahnmusik“, komponiert von einem findigen Polen namens Jan Fryderyk. Es handelt sich um „Musik zur Landschaft“, musikalisch gesehen: Softpop mit Saxophonbedudelung. Titel gibt es keine mehr, nur noch Gebrauchsempfehlungen: „Kurven im Flachland“, „Kurven in Hügellandschaft“, „Kurven im Gebirge“. Spezieller Gag: „der Beginn einer neuen Variante wird jeweils durch Glockentöne angezeigt“.

Hört sich das nicht ungeheuer libidinös an — in einem durchaus überindividuellen, manipulativen Sinne? Was geht da für ein Tanz ab mit der „mechanischen Braut“ Auto (McLuhan)? Und was sagt Kittler dazu? Der strengen Wissenschaft steht hier noch eine Aufgabe bevor, aber auch rein ästhetisch ist es ein starkes Bild, sich das einfach mal wieder vorzustellen: traumatophile Typen in Blechkisten, die muzakbegleitet über das Autobahnnetz sausen und von ganz ungeheuer destruktiven psychosozialen Energien durchtost werden, während der Aufkleber draußen sagt: „Nicht hupen! Fahrer träumt von Silvretta Nova“.

Luft (Trikont)

Die „schwierige“ dritte Platte. Journalistischerseits hat man sich ausgeschrieben an „Mostschädeln“, „Alpenpunk“, „Volks-HipHop“, Landlern, Gstanzeln, Schleinigern, und was das Duo Attwenger, bestehend aus Markus Binder (Schlagzeug) und Hans-Peter Falkner (Ziehharmonika) sonst noch so im Repertoire hat. Der oberösterreichische Exotenbonus ist weg, längst kommt eine neue Sau durchs Dorf gelaufen, und auch musikalisch wird eine gewisse Entwicklung erwartet, damit das Randständige auch weiterhin begrüßt und gutgefunden werden kann — man ist ja kein Unmensch.

Attwengerseits aber hat man sich offenbar darin eingerichtet, daß das nur sein Gutes hat, wenn den Schreibern die Floskeln allmählich ausgehen, und auf gute Menschen wird ohnehin gepfiffen. Umso ungestörter kann man sich nämlich einer sehr kunstsinnigen Barbarisierung des ererbten Materials hingeben, kann hier mal ein Jimi-Hendrix-Akkordeon einflechten, dort mal ein unschuldiges Volkslied mit Halleffekten traktieren oder durch böse psychedelische Tunnel jagen. Vor allem aber kann man Mundartdichtung in einem Akt zärtlicher Grausamkeit so weit an die Grenzen der Glossolalie heranführen, daß sie klingt wie ein Gedicht von Tristan Tzara: „Waun des ned a so irr wa so vü wirrwarr ned so irr wa & ned iwaroi glei a fiaba wa ma des wirrwarr vü liaba“, alles klar? Die dritte Platte ist auch mindestens die dritte allgemeine Verunsicherung, und insofern stimmt immer noch, was schon mal, in diesem Fall von der Züricher Weltwoche, über das Verhältnis Attwenger und Volksmusik geschrieben worden ist: „Attwenger haben ihr das Fell abgezogen und es über dem Feuer getrocknet: bis man gut darauf trommeln konnte.“

Now Ain't The Time For Your Tears (MCA)

Gekränkte Männer haben ein Herz für gefallene Mädchen. Daß Elvis Costello auch so einer ist, wissen wir, seit er Cait O'Riordan vom Baß der Sauf- und Raufbande The Pogues weggerettet hat, um sie in die Ehe zu führen.

In diesem Fall heißt das gefallene Mädchen aber Wendy James, die nach der Auflösung der Super- Glamour-Popband Transvision Vamp, wo sie in äußerst aufreizender Montur auftrat, einen bösen Karriere-Knick hat hinnehmen müssen. Elvis hat sie vor der Gosse bewahrt, indem er ihr ein Kleidchen aus bestrickenden Melodien gezaubert hat. So schön sind sie, daß Zweifel an der lauteren Gesinnung des edlen Komponisten sich von selbst verbieten, und so einfühlsam sind sie gesungen, daß selbst Steine in den geglückten Solidarpakt der Geschlechter einstimmen müssen. Und wenn's nicht am Ende doch eine arglistige machistische Fälschung ist, wird das niemanden so sehr ärgern wie Svende Merian: die Geschichte des toten Märchenprinzen muß jetzt in weiten Teilen neu geschrieben werden.

Waiting For You (Reprise/ WEA)

Natürlich ist das Boring-Old-Fart- Folk, ohne nennenswerte Entwicklung über die Jahre. Alter Wein in alten Schläuchen sozusagen, aber dafür auch weitgehend frei von zeitgenössischen Verschleimungserscheinungen und in kleineren Gaben durchaus zu genießen. Doch, doch.

Love Is My Only Crime (Veracity/IRS)

Und noch eine Platte vom See der noch duftenderen Seelen. Ich weiß auch nicht, was mit der Branche los ist, aber in Hamburg hat sich ein Label namens „Aus Lauter Liebe“ gegründet, und dieser Sampler hier heißt „Liebe ist mein einziges Verbrechen“, im Original auf Englisch zwar, aber trotzdem. Er versammelt 21 Liebeslieder in einschlägigen Kreisen wohlbekannter mittlerer Scheiterer wie Townes van Zandt, Alex Chilton, Charlie Feathers, David Earle Johnson, aber auch jüngerer Dichterinnen und Kaffeehausrosen wie Barbara Manning, Sonya Hunter oder Loretta Velvette, alles Orginalaufnahmen im übrigen, die das Thema sozusagen kontrovers angehen: Geklappte und nicht geklappte Liebe, ausbaufähige Liebe, aussichtslose Liebe, Liebe im Ruhestand, Teenager-Liebe, mexikanische Liebe in der Borderline-Stadt, Liebe in den kleinen Städten des mittleren Westens, Liebe und Tod, alles da. Die Platte ist ohne jeden Zweifel ein größerer Glücksfall für Freunde des guten Liedes, was der Intiative eines engagierten Privatmannes namens Peter Schneider zu danken ist (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Schriftsteller). Das sollte Schule machen: Schneider hat seine in aller Welt verstreuten Helden einfach angequatscht, und, zu seiner eigenen Überraschung, sagten die meisten dieser Scheulinge sofort Ja. Offenbar quoll denen schon beinah das Herz über — so daß der Sammler Schneider quasi nur noch seinen Hut drunter halten mußte. Sowas gibt's also auch noch.

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