■ Scheibengericht: A Tribe Called Quest
Midnight Marauders
(Jive/BMG)
HipHop, USA, Herbst/Winter 1993: Denkbar breit ist das Spektrum, in dem sich HipHop als musikalische Sprache fortwährend redefiniert. Eine Tendenz läßt sich diesseits des momentan marktbeherrschenden Gangsta-Westcoastmodells, dessen jüngster Shooting- Star Snopp Doggy Dogg noch vor Veröffentlichung seines Solodebüts auf den Titelseiten prangte, allerdings ablesen: HipHop ist, stark verfeinert und durchstrukturierter, zum Teil wieder das, was er in seinen Old-School-Tagen war: Musik über das Musikmachen, der Beat, der sich selbst begründet – aber nun in einem ganzen Universum an Ausdrucksmöglichkeiten, das jenseits der Old-School-Party und ihrem Ereignis-Charakter ganz andere, verrücktere und gewagtere Modelle zuläßt.
A Tribe Called Quest kommen aus Queens, und, wie steht doch in der Dezember-Ausgabe des wichtigen US-HipHop-Blattes The Source: „In Queens gibt es Bäume, und jeder weiß, daß Bäume nicht Hardcore sind.“ Hardcore sein heißt im HipHop, street zu sein, als Vertreter der Community und der Neighborhood respektiert zu sein, nicht „Pop“ zu werden und den Ausverkauf zu betreiben. A Tribe Called Quest haben es trotz der Bäume in Queens, trotz der Tatsache, daß sie nicht aus den „Warzones“ der Inner City kommen, geschafft, sich endgültig vom Bild des ausgesucht geschmackvollen Bohème-HipHop für den fortgeschrittenen Connaisseur zu trennen: Nach ihrem 90er Debüt „People's Instinctive Travels and the Paths of Rhythm“ wurde ihr 1991er Album „The Low End Theory“ der Klassiker, der klarstellte, daß in der Reduktion auf Bass, Beat und sparsam eingesetzte Samples die musikalische Kraft dieser Musik von denen, die ihre Parameter beherrschen, hervorgekitzelt und weitergetrieben werden kann. Damit galten sie schlagartig als die große, tragende Brücke zwischen „der Straße“ und dem Keller des Musik-Tüftlers.
HipHop ist nicht today's Jazz durch ein paar schön gesampelte Cool- und BeBop-Standards, sondern durch das verfeinerte Rhythmus- und Sprachgefühl seiner besten Vertreter. Und zu denen zählen A Tribe Called Quest mit ihrer dritten Platte „Midnight Marauders“ auch weiterhin. Aufs erste Hören hat sich nichts Grundlegendes zur Vorgänger-Platte verändert, aber die dort erreichte Meisterschaft wäre auch verschenkt, wäre sie jetzt einem Novelty-Effekt, irgendeiner Sample-Spielerei geopfert worden. ATCQ lassen durchaus nebenbei noch ein paar Rekorde an Stimmakrobatik abfallen, etwa wenn Q-Tip auf „Steve Biko (stir it up)“ geschlagene zehn Sekunden ein Wortfeuerwerk ohne Luftholen losläßt, unangestrengt auf einem einfachen rhythmischen Scratchen reitend. Dabei sind seine Texte nicht bloße Stilübungen, sondern poetisierte Black Community. „Sucka Nigga“ etwa ist nicht die übliche Schimpfkanonade, sondern eine persönliche Reflexion über die Ambivalenz des Schimpfworts „Nigger“, seiner Geschichte vom Mund des Sklavenhalters über die subversive Aneignung, die das Bild des coolen Delinquenten bezeichnet, bis hin zum inflationären Gebrauch als Männlichkeitsbeweis.
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