■ Scheibengericht: New Focus String Trio
J. S. Bach: Goldberg-Variationen – Fassung für Streichtrio (Edition bei Reuth HS 1193, 07922 Stelzen bei Reuth, Nr. 1)
In einem winzigen Kaff in Thüringen, Stelzen mit Namen, nicht weit von der Ortschaft Reuth entfernt und in Reichweite vom Festspielort Bayreuth gelegen, fanden letztes Jahr zwischen Bier und Beethoven, Bratwurst und Bach die „Festspiele bei Reuth“ statt – ein Musikfest ganz eigener Art, verstanden als Kontrastprogramm zum alljährlichen Festspielmonstrum von nebenan. Mitglieder des Leipziger Gewandhausorchesters waren für zwei Tage in den Flecken eingefallen und boten in kleineren und größeren Kombinationen Konzerte in Feld und Wald, in der Scheune und auf dem Dorfplatz. Einen Höhepunkt des Programms bildete der Auftritt des New Focus String Trios mit Horst Baumann (Violine), Henry Schneider (Viola) und Uwe Stahlmann (Cello) in der kleinen Gemeindekirche. Zur Aufführung kamen Bachs „Goldberg-Variationen“, die jetzt auf Platte erschienen sind.
Das Stück des „Churfürstlich Sächsischen Hoff-Compositeurs“, das es nicht zuletzt durch die Interpretation von Glenn Gould zu noch größerer Berühmtheit brachte, war ursprünglich nur als „Clavier Übung“ zur „Gemüths Ergetzung“ gedacht. Die „Aria“ mit ihren 30 Variationen ist ein äußerst kniffeliges Werk, konstruiert nach den strengen Leitsätzen barocker Tonkunst. Die kontrapunktische Verschlungenheit und Ornamentik ihrer hochkomplexen Architektur verlangt den Interpreten einiges an instrumentalen Fertigkeiten ab. Die Bearbeitung für Streichtrio von Dmitri Sitkovetsky orientiert sich nicht am barocken Generalbaß-Prinzip, sondern weist den drei Streichinstrumenten gleichberechtigte Aufgaben zu und kommt somit der modernen Spielauffassung der jungen Gewandhausmusiker entgegen, die das Bachsche Wunderwerk unprätentiös, aber mit viel Einfühlungsvermögen und virtuoser Frische in Szene setzen. Die wunderbarste Sonntagmorgenmusik!
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