■ Scheibengericht: Howard Skempton
Well Well Cornelius (Sony Classical SK 66482)
Klassische Musik hat ein Faible fürs Großformat. Ohne Symphonie oder Oper wird man als Komponist nicht akzeptiert. Dem Engländer Howard Skempton sind solche Maßstäbe suspekt. Er ist von der Vorstellung fasziniert, daß die Welt in einem Sandkorn zu finden ist. Seine Musik zieht ihre Inspiration aus der stillen Tradition eines Erik Satie oder Federico Mompou, die Ruhe gegen Konzertdonner setzten.
1969 begann Skempton seine Laufbahn als Mitbegründer des Scratch Orchestras, das zur Keimzelle der britischen Musikdissidenten von Cornelius Cardew bis Gavin Bryars wurde. Und obwohl er heute keine Geräuscherkundungen am präparierten Piano mehr betreibt, begreift sich Skempton weiterhin als experimenteller Musiker. Seine Stücke für Klavier entspringen nicht abstrakten Theorien oder Konzepten, sondern oft nur einem einzigen Ton, der wie ein Stein, den man ins Wasser wirft, (Klang-)Welle um (Klang-)Welle nach sich zieht.
Es ist bezeichnend, daß er, während er die meisten dieser Kompositionen schrieb, gar kein Piano besaß. Skempton ist ein Meister der einfachen Formen, der aus dem Augenblick heraus komponiert. Seine Stücke sind Gelegenheitskompositionen, flüchtig hingeworfen, mit Anklängen an Folksongs, Barmusik und Rumba. Bisweilen kaum eine halbe Minute lang strahlen sie dennoch vor träumerischer Sinnlichkeit. Manchmal handelt es sich um luftige Tonfolgen, nur von ein paar spärlichen Intervallen unterlegt, ein andermal wird ein Akkord zu einer kleinen Melodie aufgebrochen, die einer Spieluhr entstammen könnte. Die Kompositionen lassen dem Interpreten freie Hand. Bewußt sind die Intentionen „unscharf“ gehalten. John Tilbury, einem der besten Interpreten zeitgenössischer Klaviermusik, gelingt es, die Magie hinter den Noten aufzuspüren.
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